Glaube, Wirklichkeit

und

Phantasie

 

Die treibende Kraft

des menschlichen Lebens, Denkens und Handelns

 

 von Georg Goetiaris

 © 2014

 

Einleitung

          Der Anblick auf diesem Waldweg war in jener fast mondlosen Nacht gespenstisch. Im fahlen Licht wirkten schon die Bäume des Waldes mehr als nur unheimlich. Die Äste und Zweige der Tannen und Scheinzypressen sahen im aufsteigenden Nebel wie schleierhafte Geistergestalten aus. Aber die sich schnell nähernden zwei Lichter, die die glühenden Augen eines übergroßen Wolfes vermuten ließen, sorgten bei jedem Menschen dafür, dass ihm das Blut in seinen Adern gefrieren würde. Hinzu kam noch das Geräusch von Stampfen und Schnaufen.

Man konnte den eigenen Herzschlag hören. Es war die nackte Angst, die jede weitere Bewegung unmöglich machte.

So gab es keinen Gedanken, keinen Glauben, nur das gedachte Wissen um das Böse manifestierte sich in dem Betrachter. Regungslos stand er auf diesem Weg und wartete auf den Tod, seine eigene Hinrichtung durch das Übernatürliche.

In der sich nähernden Postkutsche hingegen sah diese Situation völlig anders aus. Der Kutscher auf dem Kutschbock trieb seine vier Pferde an und im inneren der Kutsche herrschte eine eher gelockerte Stimmung.

Zwei Frauen, eine jüngere und eine ältere waren in einem anreden aber nichtssagenden Gespräch vertieft. Ein älterer Mann, der an der Seite jener älteren Frau saß, schaute, wie verträumt aus dem Fenster der Kutsche. Er kannte seine Frau schon lange und gut genug um zu wissen, dass sie, wenn sie einmal zu reden angefangen hatte, kein Ende mehr finden würde.

Ein jüngerem Mann gegenüber, an der Seite der jungen Frau, beide gehörten jedoch nicht zusammen, hörte aufmerksam zu. Dabei schien sein Interesse aber mehr jener jungen Frau gewidmet zu sein.

Zwar war es eine beschwerliche Fahrt, aber die Kutsche bot allen nur denkbaren Komfort und ein Hauch von Romantik lag in der Luft. Der Kutscher schien kein Erbarmen für seine Pferde zu kennen und trieb diese immer weiter zum schnellen Laufen an. Er wollte noch vor Mitternacht die nächste Poststation erreichen. Die Pferde schnauften und stampften über den Waldboden. Die zwei Öllampen an den Seiten der Kutsche flackerten nur spärlich und boten eigentlich keine wirkliche Sicht für den Kutscher, der diese Strecke aber wie im Schlaf kannte. So polterte die Kutsche unter dem Schnaufen und Stampfen der vier Pferde über den Waldboden des Weges ihrem Ziel entgegen.

Jene zwei Lichter kamen näher und näher und die Angst wurde größer und größer. Erst als sie ganz nahe waren, ließen sich die Umrisse der Postkutsche erkennen. Die Anspannung der Angst viel von der Seele und eine große Erleichterung machten sich gepaart mit ein wenig Verlegenheit über die unberechtigte Angst, breit. Als die Kutsche fast auf gleicher Höhe war, hielt der Kutscher an und fragte ob man nicht bis zur nächsten Poststation mitfahren wollte, da es noch immerhin eine gute Stunde bis dorthin in Anspruch nehmen würde. Dieser Walt war zudem nicht gerade in der Nacht ein sicherer Ort.

Der unbekannte Wanderer nahm dieses Angebot dankend an und stieg erleichtern, noch immer etwas weich in seinen Beinen, ein. Mit einem knallenden Peitschenschlag und einem lauten, antreibenden Ruf des Kutschers setzte sich die Kutsche wieder in Bewegung.

In dieser Kutsche sah die Welt doch gleich wieder ganz anders aus. Schon bald war die Angst von vorher vergessen und wirkte eher etwas peinlich, so dass man sich vornahm, nicht unbedingt darüber reden zu müssen.

Es war eine räumliche und sehr gemütliche Postkutsche. Mit den rot gepolsterten Sitzbänken und dem aufwendig in Holz getäfelten Innenraum, ließ sie alle Angst umgehend vergessen. Man konnte behaupten, sich in einer gewissen Sicherheit zu befinden, doch was war oder ist wirklich sicher?

Jenem Wanderer, der kurz zuvor noch um sein Leben und seine Seele gefürchtet hatte, wurde klar, dass es immer auf die jeweilige Betrachtungsweise ankommt, wie man eine Situation einschätzt und wahrnimmt. Es ist der Blickwinkel aus dem man, in seiner Unwissenheit, seine eigene Lage beurteilt. Sieht man doch immer das, was man zu sehen glaubt. Wenn es im Augenblick keine wirklich einsichtige Erklärung gibt, schließt das Gehirn mit der Macht der Phantasie diese Lücke, und die widersprüchlichsten Dinge kommen dabei heraus.

 

 

Erklärung

Wir kommen um jene Tatsache, auch nicht mit der kühnsten Logik herum. Was wir nicht erklären können, schaffen wir mit der Phantasie, als eine Art von Krückenfunktion, auch wenn diese noch so unglaubwürdig erscheint. Ob das Geglaubte nun der Wirklichkeit entspricht oder nicht, es muss erklärt werden, und sei es um den Preis der unwirklichen Scheinwelt.

Wenn wir uns diesen Denkprozess einmal genau verwirklichen, so verstehen wir vielleicht, wie es möglich war, dass Religionen und Aberglaube den Weg zu ihren Entstehungen nehmen konnten. Es war und ist die verzweifelte Bemühung des Menschen für alles eine Erklärung zu finden, selbst wenn diese noch so unsinnig und unwirklich ist.

Auf diesem gleichen Fundament aber liegen auch die Potentiale der Forschung und des Fortschrittes der Menschheit. Ohne diesen Drang wären wir heute nicht dort wo wir sind. So hat alles seine zwei Seiten, eine gewisse Form des Gleichgewichtes.

Alles war und ist die Grundlage des Unerklärbaren. Die Suche nach Erklärungen. Eine scheinbar unversiegbare Quelle eines großen Mysteriums. Aus der Sichtweise des Menschen, jene Quelle der Kraft, auf der aller sogenannter Fortschritt der Menschheit aufbaut.

Eine solche Basis hat jedoch auch ihre negative Seite. Letztendlich verschleiert sie die Wahrheit oder macht den Weg zu ihr unbeschreitbar. Doch wie kann man das nicht Greifbare greifen?

Es handelt sich um eine Bewusstseinsebene welche wir nicht nachvollziehen können, da wir nur mit dem umgehen können was wir auch kennen oder deren Hintergründe sich uns durch ihre Offenbarung gezeigt haben. So wächst das Individuum in seine ihm bestimmte Welt hinein. Ein ewiger Lernprozess, der, wie uns die Geschichte zeigt und vermuten lässt, kein Ende findet, bis die Grenze des, für das Individuum möglichen erreicht ist. Ob jedoch jene Erkenntnis in ihrer gesamten Wahrheit sich dann offenbart ist nicht sicher, da auch der Mensch nur einen bestimmten Zweck in diesem Universum zu erfüllen hat.

So war der Weg des Menschen von seinen Anfängen her beschwerlich und unsicher. Um sich eine gewisse, sichere, wenn auch nur Scheinwelt zu erschaffen, suchte er nach erklärlichem für das Unerklärbare. Er musste, wie auch jede andere Kreatur auf dieser Erde lernen die Rätsel zu erkennen, zu begreifen und somit auch zu erklären.

Dies stellt auch die Tatsache außer jede Frage, dass der Mensch, gegenüber dem Tier und allen anderen Lebensformen, welche nicht nach Erklärungen suchen sondern den Weg der Bestimmung gehen, überlegen zu seinen scheint. Zumindest hat der Mensch damit alle Macht an sich gerissen und bestimmt somit den Fortbestand und die Entwicklung auf diesem Planeten. Welchen Hintergrund die Natur auch immer damit verfolgt vermag ich nicht zu sagen. Es erscheint mir jedoch sehr fraglich ob dieser Weg ein wirklich guter Weg ist. In dieser sogenannten Scheinwelt, in der sich der Mensch bewegt, ist es ihm nicht möglich wirkliche Gefahren zu erkennen, langfristige Gefahren.

Der Mensch hat sich seinen verschiedenen Umgebungen und Anforderungen, in denen er lebt, angepasst. So sind auch mit dieser doch sehr unterschiedlichen Anpassung die verschiedenen Kulturen zustande gekommen. Aus den Kulturen, welche der Mentalität der jeweiligen Menschen zugrunde liegt, entstanden die Religionen. Waghalsige und manifestierte Vermutungen auf der Suche nach der Wahrheit. Wie sich zeigt, eine gefährliche Begegnung, die bisher nur Kriege, Kummer und Not hervorgebracht hat.

Mythen, Vermutungen und den Drang nach Erklärungen sind zu einem brisanten Sprengstoff geworden, einen Sprengstoff mit dem der Mensch durchaus imstande ist, sich selbst zu vernichten. Was macht wohl eine Wanderheuschrecke, wenn sie alles an Nahrung aufgefressen hat, sie wird verhungern.

           Doch begeben wir uns, um des Verstehens Willen nicht zurück zu unserer Einleitungsgeschichte sondern auf eine Zeitreise. Um den Menschen und seine Handlungs- und Denkweisen verstehen zu können, begleiten wir diesen doch in einem Zeitraffer durch die Zeit seiner Entstehung und Entwicklung.

Wann jene Spezies Mensch zum ersten Mal die Bühne des Lebens auf dieser Erde betrat vermag wohl keiner je mit Genauigkeit sagen können. Ferner ist es auch fraglich, ob er sich aus einem anderen Wesen entwickelt und somit erstmalig angepasst hat, oder ob er bereits am Anfang gleich die Voraussetzungen zum Menschen hatte. Tatsache ist, dass zu einem gewissen Zeitraum dieses Individuum von der Natur ausgespukt wurde.

Mit diesem Augenblick beginnt auch unsere Zeitreise. Lassen wir einmal vorweg, wie viele Jahrhunderte, Jahrtausende oder Jahrmillionen es gedauert hat, bis jenes Wesen einen Ansatz zum Denken und Handeln hatte.

Hier haben wir also unseren Menschen. Noch sehr primitiv und völlig anders aussehend als wie wir ihn heute kennen, aber einen Menschen.

Lange hat seine Entwicklung gedauert bis er an dieser Schwelle stand. Genau an dieser Stelle aber beginnt er eigenständig zu werden. Es liegen noch Millionen von Jahren vor ihm, bis er dort ist wo wir uns gerade befinden, aber er ahnt noch nichts von seinem langen Weg. Einem Weg den schon viele Individuen vor ihm beschritten haben und am Ende von dieser Bühne verschwunden sind. Auch ahnt dieser Mensch, so wie wir auch heute, nicht wann er wieder verschwinden und ersetzt wird.

Es muss sich um ein doch sehr ängstliches und verschreckendes Wesen gehandelt haben, denn im Gegenteil zu den anderen Lebewesen auf der Erde kann er etwas aufweisen, was alle anderen Wesen nicht können. Er kann wesentlich voraussichtlicher Denken und Planen. Doch bringt dieser Vorteil nicht nur ein glückliches Leben mit sich. Es ist genau das Gegenteil. Der Mensch sucht nach Erklärungen um seine Ängste zu kontrollieren. Er sucht ständig nach Kontrolle.

Es handelt sich um eine alte Geschichte, eine Vermutung, wie es sich wohl zugetragen haben mag, als der Mensch das Feuer entdeckte. Wir vermuten, dass es sich um einen Blitzeinschlag handelte, der das Feuer, die Wärme, Sicherheit und vieles mehr brachte. Vermutlich war sogar ein Tier ein Opfer dieses Blitzschlages, wodurch der Mensch erkannte welchen Vorteil dieses beim Zubereiten der Speisen hat.

Sicherlich sind diese eigenständigen Ereignisse nicht in kurzer Zeit eingetreten, aber diese Vermutung spielt hierbei keine Rolle. An dieser Schwelle erkannte der Mensch wahrscheinlich zum ersten Mal seinen Wunsch nach Kontrolle. Er wollte das Feuer auch kontrollieren. Bislang musste er das Feuer hüten, was aber, wenn er nicht auf ein Gewitter warten musste sondern das Feuer selbst entzünden könnte.

Vermutlich ist dies der erste Augenblick indem der Mensch seinen Drang zur Forschung erkannte. Den Vorteil des Beherrschens.

Da Blitz und Donner zuvor etwas Unerklärbares waren, und noch aus dem Himmel kamen, aus dem Nichts, musste es sich um eine höhere Macht handeln. Allein die Tatsache, das der Mensch im Stande war, das Feuer zu hüten und am Brennen zu halten, machte ihn zu etwas Göttlichem. Zumindest in der Rangordnung war er den Tieren voraus.

Sind die Geister erst einmal gerufen, wird man sie nur schwer wieder los. So war es auch in diesem Fall. Nur war das was wir hier mit Geistern bezeichnen Wissensdrang. Die Stunde des Forschen, der Augenblick des Nachvollziehens verschiedener Denkprozesse war geboren. Sicherlich haben auch schon zuvor jene Menschen nachgedacht und zum Beispiel ihre Jagtmethoden zu verbessern oder zu koordinieren, aber noch nie waren sie einem übernatürlichem Geheimnis so nahe gekommen. In diesem Augenblick baute sich die Grenze zwischen Tier und Mensch auf, eine Grenze die mit der Zeit unüberwindlich wurde.

Auch mag das Wissen um das Geheimnis des Feuer und wie man es macht, eine große soziale Rolle zwischen den verschiedenen Stämmen oder Familien gespielt haben. Wer diese Kunst beherrschte war nicht nur gleichgestellt, nein er war auch gefährlich. Er besaß die gleiche Macht wie der andere. So haben sich mit der Zeit auch die verschiedenen Kulturen gebildet. Eigene Glaubensansichten und Machtansprüche. Die Saat des Neides, der Angst und des Bösen war gesät.

Das Feuer ist der Beginn allen Seins und auch dessen Ende zugleich.

           Je nach den Umständen von Flora, Fauna und Klima unterlag der Mensch unterschiedlichen Anforderungen und Entwicklungsstufen, welche auch seine Entwicklung in den verschiedensten Formen prägten.

Wenn wir davon ausgehen, wie es die Wissenschaft heute sieht, dass des Menschen Wiege im heutigen Afrika liegt, so begann auch für ihn die große Wanderschaft, auf der Suche nach Nahrung.

Mehr und mehr verteilte sich, in Folge dieser Wanderung, der Mensch über unseren Globus. Mit den Herausforderungen aber begann nicht nur die gesunde und natürliche Selektion von stark und schwach, der Mensch wuchs und lernte auch mit jenen Herausforderungen des Überlebens.

So ist es durchaus kein Wunder, dass der Mensch sich sehr unterschiedlich entwickelte. Im Grund genommen passte er sich nur seiner Umgebung an.

Da aber im Unterbewussten war noch immer jenes Muster der Kontrolle vorhanden ist, wird jeder, gleich wo er sich befindet und welche Voraussetzungen gegeben sind, Jene Kontrolle und das Wissen darum, mit der ihm zur Verfügung stehenden Mentalität versuchen zu lösen. Allein schon aus diesem Grund wird sich die Denkweise sowohl die emotionale Ebene jeder Menschen unterschiedlich voneinander entwickeln, das Ziel aber bleibt das Gleiche.

Genau auf diesen, doch sehr unterschiedlichen Ebenen bildeten sich auch die Mythen, Kulturen und Glaubensrichtungen bzw. Religionen heraus. Nach dem Motto, jeder sucht das gleiche Ziel, nur auf einem anderen Weg, einem Weg der ihm in seiner Umgebung einzig möglich erscheint. Der Drang des Forschens, die Suche nach Erklärungen und möglicher Kontrolle ist jedoch nach wie vor die Basis allen menschlichen Denkens.

So ist der Mensch ein Teil allen Seins. Er hat seine Berechtigung bedingt durch seine Aufgabe im Sinne des Großen und Ganzen. Auch er ist ein Glied einer großen Kette, gleich ob er den Sinn erkennt oder nicht. Mit diesem Denkmuster sollte jede Notwendigkeit für ein naturell bedingtes Gleichgewicht erklärt sein. Der Mensch ist ein Teil des Gesamten und das Gesamte ist ein Teil für den Menschen, so schließt sich eine große Symbiose zum Kreis der Unendlichkeit.

           Bis zum heutigen Tag hat dieser Lernweg des Menschen nicht geendet. Ich würde sogar behaupten wollen, dass der Mensch nach all dieser Zeit noch ganz am Anfang steht. Wohin dieser Weg führt wird sich zeigen, aber was auch immer geschehen mag, wir sollten wissen, dass alles dem Gesetz der Bestimmung unterliegt. Wir können also, selbst wenn wir wollten, diesem großen Plan nicht entgehen.

Umso wichtiger erscheint es mir, das eigene Leben zu erkennen und sich daran zu erfreuen, denn keiner kann wissen was der nächste Tag bringt. Zudem sollten wir auch bedenken, dass die Kontrolle nur ein Werkzeug ist was sich gegen uns selbst richten kann, die Gegenwart und die Geschichte beweisen diese Behauptung.

Das Leben ist und bleibt ein Geschenk. Der Mensch ist zum Leben da, also Lebe jeden Tag aufs Neue, denn am Ende wird alles wie am Anfang sein.

 Georg Goetiaris