Bekannte Irrtümer

Hätten Sie es gewusst?

 

 

1.     Irrtum

Marco Polo

Marco Polo war in China

 

Der einzige Zeuge für diese Behauptung ist Marco Polo selber; in Wahrheit, und anders als wir es aus Dutzenden von Büchern oder Filmen kennen, ist Marco Polo vermutlich nie über Konstantinopel und das Schwarze Meer hinausgekommen; er hat nie den Kublai Khan gesehen, ist nie dessen Statthalter und Gouverneur gewesen, er war weder im Karakorum noch in Peking noch in den meisten anderen Städten, die er in seiner »Beschreibung der Welt« gesehen haben will. So lautet eine unter modernen Sinologen ernsthaft diskutierte These. Mit anderen Worten, Marco Polo hätte den Großteil seines Buches abgeschrieben oder frei erfunden (bzw. einem Mitgefangenen in einem Kerker in Genua diktiert, wo er als Kriegsgefangener vier Jahre Zeit zum Fabulieren hatte).

    Diese These gründet sich auf folgende Indizien: (1.) All die Dinge, die Marco Polo nicht berichtet. Wer mehr als zehn Jahre in China herumgereist sein will, hat natürlich die Große Mauer gesehen (und in der Tat muss Marco Polo, wenn man seine angebliche Reiseroute nachvollzieht, mindestens einmal diese Mauer überwunden haben). Aber Marco Polo erwähnt die Mauer mit keinem Wort, genauso wenig wie die damals in China schon wohlbekannte und weit verbreitete Buchdruckkunst: »Die Märkte der von Marco Polo beschriebenen Städte müssen voll gewesen sein mit kleinen Bücherständen, auf denen billig gedruckte populäre Handbücher und fiktionale Werke, viele davon mit Illustrationen, feilgeboten wurden« (Wood). Auch die typischen chinesischen Sitten des Teetrinkens oder des Essens mit den Stäbchen oder des Einbindens der Füße bei den Frauen bleiben unerwähnt – sehr ungewöhnlich für einen Reisenden, der jahrelang in dieser Gegend und unter diesen Menschen gelebt haben will. (2.) Das Fehlen jeglicher Hinweise auf Marco Polo in chinesischen Quellen selbst. Immerhin will Marco Polo ja ein bedeutender Gesandter und Statthalter des Herrschers gewesen sein; eine solche Figur verschwindet nicht ohne alle Spuren aus der Geschichte eines Landes. (3.) Die Schwierigkeiten, die angebliche Reiseroute nachzufahren. »Zwar gibt es auch heute noch Expeditionen, die sich rühmen, den ›Fußstapfen Marco Polos‹ gefolgt zu sein, doch namhafte Forschungsreisende geben zu, dass es nicht möglich ist, über die Grenzen Persiens hinaus Marco Polos Route Schritt für Schritt nachzuvollziehen« (Wood). (4.) Die seltsam unpersönliche Beschreibung fremder Sitten, Städte oder Länder: »Kamul ist eine Landschaft, die zu der großen Provinz Tanguth gehört; sie hat viele Städte und Burgen und ist dem Großkhan untertan. « Und so weiter über Hunderte von Seiten: »Tenduk (...) ist eine östliche Provinz mit vielen Städten und Schlössern. (...) Sungui ist eine große und prächtige Stadt von einem Umfang von zwanzig Meilen« usw. So schreibt man nicht über selbst Erlebtes, so schreibt man über Dinge, die man aus fremden Quellen abgeschrieben hat. (5.) Das Fehlen der Person des Marco Polo im größten Teil des Buches. Passend zu der unpersönlichen Schilderung der Landschaften und Städte ist nämlich von Marco Polo selbst in Marco Polos Reisen kaum die Rede. In der Regel erscheint er, falls überhaupt, nur in der dritten Person oder in der ersten Person Mehrzahl: »Messer Marco ist lange in Indien gewesen. (...) Wenn der Reisende die Stadt verlässt, reitet er sieben Tage über flaches Land. (...) Wir verlassen nun Sengui und kommen zu einer anderen Stadt« usw. (6.) Der Aufbau des Reiseberichtes selber. Auch wenn manche Übersetzungen »Die Reisen des Marco Polo« heißen – das Buch ist alles andere als ein Bericht einer Reise, eher ein Zettelkasten aus Anekdoten, Fakten, zugetragenen Geschichten. Der Hauptteil des Textes beginnt mit einer ziemlich sprunghaften Chronik des Mittleren Ostens, aus der man einiges über die dort gehandelten Waren und die dort lebenden Menschen, aber nichts über die konkreten Fahrten Marco Polos von einer Stadt zur anderen erfährt. Es folgen geographische, ökonomische oder sozialpsychologische Exkurse, wie sie für aus fremden Quellen und aus Erzählungen von anderen zusammengeschriebene Bücher typisch sind.

 Lit.: Herbert Franke: »Sino-western relations under the Mongol empire«, Journal of the Royal Asiatic Society 6, 1966, S. 49–72; Hans Eckart Rübsamen: Die Reisen des Venezianers Marco Polo, München 1993; Frances Wood: Marco Polo kam nicht bis China, München 1996.

 

 

2.     Irrtum

 

Magnetfeld

Das Magnetfeld der Erde zeigt seit jeher in die gleiche Richtung

 

Das Magnetfeld der Erde hat nicht immer seine aktuelle Richtung von Süden nach Norden gehabt. In den letzten 4 Millionen Jahren hat es mindestens neunmal seine Richtung gewechselt, das letzte Mal vor 730000 Jahren; das kann man etwa aus Eisenpartikeln in erstarrter Lava sehen. Mit anderen Worten, wäre damals ein Seefahrer stur der Kompassnadel nachgefolgt, wäre er genau am Südpol angekommen.

    Auch heute steht der magnetische Nordpol alles andere als still – allein in diesem Jahrhundert hat er sich rund 500 Kilometer Richtung Westen (von Europa aus gesehen) fortbewegt.

 

Lit.: Allan Cox u.a.: »Reversals of the earth's magnetic field«, Scientific American, Febr. 1967.

 

 

3.     Irrtum

 

Mais

Mais ist ein Gemüse

 

Mais ist kein Gemüse, sondern so wie Roggen, Weizen, Hafer, Reis und Gerste ein Getreide, d.h. eine Pflanze aus der Familie der Gräser. Unter »Gemüse« und »Obst« versteht man die übrigen als Nahrungsmittel genutzten Pflanzen (Erbsen, Möhren, Rüben usw.), wobei aber auch hier die Einteilung nicht immer unumstritten ist. Bekannt sind etwa die Tricks der alten DDR-Statistik, zu Zeiten von Gemüseknappheit die schweren und reichlich vorhandenen Melonen statt dem Obst dem Gemüse zuzurechnen.

 

Lit.: W. Krämer: So lügt man mit Statistik, 7. Auflage, Frankfurt a.M. 1997; Stichwort vorgeschlagen von Christelle Gelzus.

 

 

4.     Irrtum

 

Marathonlauf

Der Marathonlauf ist so lang wie der Weg von Marathon nach Athen

 

Der Weg vom Schlachtfeld von Marathon zum Marktplatz von Athen misst weniger als 40 km, deshalb waren die ersten Marathonstrecken immer 25 Meilen oder 39 km lang. Erst bei den Olympischen Spielen 1908 in London verlängerte man die Strecke auf 26 Meilen 385 Yards bzw. 41 km 947 m, um der englischen Königsfamilie ein bequemes Zuschauen von Schloss Windsor aus zu ermöglichen. Und bei dieser Länge ist es dann geblieben.

 

Lit.: Stichwort »Marathon« (Sport) in der MS Microsoft Enzyklopädie Encarta, 1994.

 

 

5.     Irrtum

 

Medizin

Die Medizin war schon immer ein Segen für die Menschheit

 

Bis zum Ende des 19. Jahrhunderts waren die typischen Ärzte für ihre Patienten gefährlicher als die meisten Krankheiten. Erst um das Jahr 1910 herum, so meinen Medizinhistoriker, wurde die Wahrscheinlichkeit größer als 50 Prozent, dass ein zufällig ausgewählter Kranker durch einen ebenfalls zufällig ausgewählten Arzt gesundheitlich profitiert – bis dahin hätten Ärzte also im Durchschnitt mehr Schaden als Nutzen angerichtet (kein Wunder, wenn man noch tausend Jahre nach Hippokrates die Leber für das Zentrum des Blutkreislaufs und das Händewaschen vor einer Operation für eine Zumutung gehalten hat).

    Bis weit in die Neuzeit haben daher nur Rossnaturen die Wohltaten der Medizin überlebt. Wer heute auf alten Bildern den Barbieren und Feldschern früherer Zeiten bei der Arbeit zusieht, erkennt auf einmal, warum »Kunstfehler« eine Wortschöpfung des 20. Jahrhunderts ist – entweder war man früher nach der Behandlung tot, oder der Körper half sich selbst und der Patient war bald auch ohne Medizin gesund.

 

Lit.: Walter Krämer: Wir kurieren uns zu Tode, Frankfurt 1993.

 

 

6.     Irrtum

 

Meersalz

Meersalz ist gesünder und nahrhafter als herkömmliches Tafelsalz

 

So war und ist immer noch in verschiedenen Gesundheitsmagazinen nachzulesen. Meersalz sei dem herkömmlichen Tafelsalz vorzuziehen, weil es a) nicht raffiniert würde und daher »natürlicher« als dieses sei, b) mehr nahrhafte Mineralstoffe enthielte und c) auch intensiver schmecke.

    Dazu Robert Wolke: »a) Unsinn, b) Unsinn, c) Unsinn«.

    Das in Bioläden und Supermärkten verkaufte Meersalz ist im Allgemeinen weder mineralstoffhaltiger noch weniger verfeinert als das herkömmliche Tafelsalz, und es schmeckt auch völlig gleich. Denn auch das »normale« Steinsalz aus der Erde, das heute in unterirdischen Stollen abgebaut und dann vermarktet wird, stammt aus dem Meer; es ist entstanden, als vor Millionen Jahren große Salzwasserflächen austrockneten und von Sedimenten überlagert wurden; insofern ist es bezüglich Rohstoff dem modernen Meersalz völlig gleich.

    Wahr ist, dass bei dem Verdunsten von Meerwasser außer Salz (= Natriumchlorid), dem mit rund 78% wichtigsten Anteil, auch noch Magnesium- und Calciumverbindungen übrig bleiben (die restlichen 22%),  plus kleinste Mengen an über 70 weiteren chemischen Stoffen wie Phosphor oder Eisen. Aber diese Stoffe sind für die Ernährung unerheblich. Um etwa die Eisenmenge aufzunehmen, die in einer einzigen Weintraube enthalten ist, müsste man ein Viertelpfund dieser so genannten »Meeresfeststoffe« essen. Wegen des hohen Gehalts an Magnesium- und Calciumverbindungen wird der Meeresfeststoff ferner genauso gründlich raffiniert wie jedes andere Salz, damit am Schluss die gesetzlich geforderten 97,5% Natriumchlorid zustande kommen (Ausnahme: Meersalz aus Frankreich; hier ist der Natriumchlorid-Prozentsatz kleiner). Und der vermeintlich intensivere Salzgeschmack des Meersalzes ist nichts als eine sensorische Täuschung: Wegen der Flockenform der Meersalzkristalle lösen sich diese in Wasser schneller auf als die Würfelkristalle des herkömmlichen Tafelsalzes, erscheinen uns also salziger, wenn sie auf der Zunge zergehen, obwohl in Wahrheit überhaupt kein Unterschied besteht.

 

Lit.: Robert L. Wolke: Woher weiß die Seife, was der Schmutz ist? Kluge Antworten auf alltägliche Fragen, München 1998 (besonders das Kapitel »Des Kaisers neues Salz

 

 

7.     Irrtum

 

»Mens sana in corpore sano«

 

Diese Worte des römischen Dichters Juvenal werden oft mit »In einem gesunden Körper wohnt ein gesunder Geist« übersetzt und haben so Generationen von teutonischen Turnfeldwebeln als Lizenz gedient, ihre Schüler mit vormilitärischen Übungen zu traktieren.

    In Wahrheit hat Juvenal aber etwas ganz anderes gemeint. In seinen Satiren, aus denen der obige Spruch nur unvollständig übernommen ist, schreibt er ausführlicher: »Orandum est ut sit mens sana in corpore sano«, oder auf deutsch: »Es wäre zu wünschen, dass in einem gesunden Körper auch ein gesunder Geist stecken möge.« Das war aber nicht als Lobeshymne, sondern eher als Angriff auf den damaligen, von Juvenal zutiefst missbilligten Kult um körperliche Fitness zu verstehen. In moderner Umgangssprache wäre sein Kommentar zu den gesalbten Gladiatorenmuskeln der Römerzeit etwa wie folgt zu lesen: »Ach wie wäre es doch schön, wenn diese Muskelaffen auch noch denken könnten. «

 

Lit.: Georg Büchmann: Geflügelte Worte, Ausgabe Ex Libris, 6. Auflage, Frankfurt 1991.

 

 

8.  Irrtum

 

Kolosseum

Im römischen Kolosseum wurden Christen abgeschlachtet

 

Auch wenn verschiedene Romane und Theaterstücke uns anderes erzählen (siehe etwa »Androkles und der Löwe« von George Bernard Shaw): Im Kolosseum wurden niemals Christen den Löwen oder irgendwelchen anderen Tieren vorgeworfen, noch wurden sie hier ganz »normal« getötet. Die Christen, die im alten Rom als Märtyrer gestorben sind, haben ihren Tod woanders gefunden, nicht im Kolosseum.

 

Lit.: Stichwortartikel »Coliseum« in Catholic Encyclopedia, Chicago 1963.

 

 

9.  Irrtum

 

Abendrot

Abendrot verheißt schönes Wetter

 

»Des Abends sprecht ihr: es wird ein schöner Tag werden, denn der Himmel ist rot«, sagt Jesus in der Bibel (Matthäus 16,2; in manchen Übersetzungen fehlt die Stelle). Aber das stimmt nur bedingt. Richtig ist, dass ein schwaches, pinkfarbenes Abendrot durch eine besonders trockene Luft entsteht und dass deshalb die Wahrscheinlichkeit für Regen sinkt. Ein knallroter Abendhimmel dagegen entsteht oft durch feuchte Staubpartikel in der Atmosphäre; er kündet eher Regen an.

 

Lit.: Die Bibel oder die ganze Heilige Schrift, Stuttgart 1929.

 

 

10.     Irrtum

 

Meter

Ein Meter misst einen Meter

 

Der Meter ist definiert als der Abstand vom Nordpol zum Äquator, geteilt durch 10 Millionen. In diesem Sinn wurde der Meter im Jahr 1799 in Frankreich eingeführt und dann durch Napoleon im übrigen Europa verbreitet.

    Allerdings hatten die Erfinder des Meters die Entfernung zwischen Nordpol und Äquator geringfügig unterschätzt – das Pariser Urmeter passt nicht 10 Millionen Mal, sondern 10 Millionen und 2000-mal hinein. Deshalb misst ein Meter etwas weniger, als er nach seiner ursprünglichen Begriffsbestimmung messen müsste.

    Seit 1983 ist der Meter daher anders definiert, nämlich als die Entfernung, die das Licht im Vakuum in einer Zeit von 1/299792458 Sekunden zurücklegt.

 

Lit.: Hätten Sie's gewusst?, Stuttgart 1992 (besonders der Abschnitt »Der Meter – länger als gedacht«).

 

 

11.     Irrtum

 

Moses

Immer wenn Moses von Gott zurückkam, trug er Hörner

 

Dieser Irrtum folgt aus einem Übersetzungsfehler: Das hebräische »keren« bedeutet sowohl Horn wie Strahl. In neueren Übersetzungen der einschlägigen Bibelstelle (Exodus 34,35) ist dieser Irrtum korrigiert: »Wenn die Israeliten das Gesicht des Moses sahen und merkten, dass die Haut seines Gesichtes Licht ausstrahlte, legte er den Schleier über sein Gesicht, bis er wieder hinaufging, um mit dem Herrn zu reden.«

 

Lit.: Die Bibel – Einheitsübersetzung, Stuttgart 1980; Linda Massey: Michelangelo: sein Leben, sein Werk, seine Zeit, Stuttgart 1985; Stichwort vorgeschlagen von Josef Stern.

 

 

12.     Irrtum

 

Ablass

Die Reformation ist aus Luthers Kampf gegen den Ablasshandel entstanden

 

Es ist eine weit verbreitete, aber falsche Ansicht, Martin Luther wäre vor allem wegen seiner grundsätzlichen Ablehnung des Ablasshandels zu dem großen Reformator geworden, als den wir ihn heute kennen. In Wahrheit hatte Luther nur eine bestimmte Form des Ablasshandels, den zur Finanzierung des Petersdoms in Rom ausgeschriebenen so genannten »Peterskirchen-Ablass« angegriffen, den man anders als andere auch post mortem, nach dem Tod, erwerben konnte (d.h. auch Tote waren aus dem Fegefeuer freizukaufen). Außerdem mussten die Sünder ihre Taten noch nicht einmal bereuen – schon das Geld allein sollte den Erlass der Sündenstrafen garantieren. Hier sah Luther einen Missbrauch, den griff er in seinen berühmten 95 Thesen an.

    Dass dann aus dieser Meinungsverschiedenheit unter Theologen die evangelische Kirche entstehen sollte, hat er vermutlich weder geahnt noch damals so geplant.

 

Lit.: Gerhard Ritter: Luther, Frankfurt 1985; Gerhard Prause: Niemand hat Kolumbus ausgelacht, Düsseldorf 1986 (besonders das Kapitel »Luthers  Thesenanschlag ist eine Legende«).

 

 

13.     Irrtum

 

Advent

Die Adventszeit umfasst die letzten vier Wochen vor Weihnachten

 

Die von den frühen Christen als Zeit der Buße und des Fastens und als Vorbereitung auf das Weihnachtsfest gesehene Adventszeit währte anders als heute je nach Land und Leuten von zwei bis sieben Wochen. Erst Papst Gregor der Große (590–604) bestimmte eine für alle Christen einheitliche Vier-Wochen-Frist (plus die Tage vom letzten Advent bis Heiligabend, wenn Heiligabend selbst kein Sonntag ist); diese Frist wurde auf dem Konzil von Aachen 825 auch offiziell für Deutschland gültig.

 

Lit.: Hartmut Schickert: Der kleine wissenschaftliche Adventsbegleiter, München 1997.

 

 

14.     Irrtum

 

Adventskranz

Der Adventskranz ist ein alter deutscher Weihnachtszeit-Begleiter

 

Der Adventskranz ist keine 150 Jahre alt; er wurde erst Mitte des 19. Jahrhunderts von dem Pädagogen Johann Hinrich Wichern in das deutsche Brauchtum eingeführt. Wichern hielt in seiner Einrichtung für jugendliche Straftäter Adventsandachten ab, wegen der frühen Dämmerung bei Kerzenlicht. Jedoch ließ er nicht alle Kerzen auf einmal brennen, er begann mit einer Kerze am ersten Abend, zwei Kerzen am zweiten Abend und so weiter. Die Kerzen für die Sonntage waren dabei groß und weiß, die für die Wochentage klein und rot. Zum Aufstecken der Kerzen hing ein Holzreifen von der Decke des Versammlungsraumes, in den Anfangsjahren unbekränzt, seit 1860, dem offiziellen Geburtsjahr des Adventskranzes, mit Tannengrün geschmückt.

    Etwa zur gleichen Zeit und unabhängig von Wichern hatte auch ein Pastor in Pommern damit begonnen, in seinen sonntäglichen Adventsandachten jeweils eine weitere Kerze anzuzünden, anfangs auf einem Weihnachtsbaum, später auf einem Kranz, und diese Sitte wurde schnell und flächendeckend auch von anderen übernommen. Die Symbolkraft dieses Kranzes – der Baum und das Grün als das Symbol  des Lebens, der Kreis als das Zeichen der Ewigkeit, der Auferstehung und des Lebens, die Kerzen als der Hinweis auf das Licht, das in der Weihnachtsnacht die Welt erleuchten wird –, einer dermaßen geballten Ladung Tiefsinn konnte das Gemüt der Deutschen unmöglich lange widerstehen.

 

Lit.: H. Kirchhoff: Christliches Brauchtum im Jahreskreis, München 1990; »Ein junger Brauch ist der Adventskranz«, Westdeutsche Allgemeine Zeitung, 27.11.1995; Stichwort vorgeschlagen von Michael Schmidt.

 

 

15.     Irrtum

 

Altar

Der Altar ist eine christliche Erfindung

 

Die ersten Christen kannten keine besonderen Plätze in ihren Versammlungsorten, so wie in modernen Kirchen die Altäre. Sie wurden sogar, weil sie keine Altäre hatten, von den anderen Religionen als Barbaren angegriffen.

    Der Altar als der besondere Platz, wo man den Göttern opfert, existierte lange vor Jesus Christus in fast allen Religionen dieser Erde.

 

Lit.: Stichwort »Altar« in Encyclopedia Britannica, 11. Auflage, Chicago 1910.

 

 

16. Irrtum

 

 

Apfel

Eva hat im Paradies von einem Apfelbaum gepflückt

 

Eine verbotene Frucht namens Apfel kommt in der Bibel nirgends vor. In der deutschen Einheitsübersetzung heißt es nur: »Die Frau entgegnete der Schlange: Von den Früchten der Bäume im Garten dürfen wir essen; nur von den Früchten des Baumes, der in der Mitte des Gartens steht, hat Gott gesagt: Davon dürft ihr nicht essen, und daran dürft ihr nicht rühren, sonst werdet ihr sterben.«

    Wie aus diesem Baum, »der in der Mitte des Gartens steht«, ein Apfelbaum geworden ist, weiß niemand so genau. Der Autor dieser Bibelstelle hat sicher kaum an einen Apfelbaum gedacht – die gab es nämlich im Nahen Osten damals nicht. Viel wahrscheinlicher wäre ein Feigenbaum, denn Adam und Eva haben sich nach dem Genuss der Frucht mit Feigenblättern zugedeckt.

    Der Apfel geriet vermutlich über die Mythen der Griechen und Kelten in die Bibel. Er galt bei diesen Völkern als ein Symbol der Liebesgöttin, und da Sex für gute Christen etwas Böses ist, kann der verbotene Baum ja nur ein Apfelbaum gewesen sein.

 

Lit.: Kurt Krüger-Lorenzen: Deutsche Redensarten – und was dahinter steckt, Wiesbaden 1960; Bernd-Lutz Lange: Dämmerschoppen, Köln 1997 (besonders das Kapitel »Sprachdenkmäler«).

 

 

17. Irrtum

 

Archimedes

 

Unter den großen Taten des großen Archimedes sind auch einige, die man ihm nur angedichtet hat. So lernt man oft noch in der Schule, Archimedes hätte die römische Belagerungsflotte vor Syrakus mit Brennspiegeln in Brand gesetzt.

    Diese Tat ist aber nachweisbar unmöglich, wie moderne Ingenieure bei dem Versuch herausgefunden haben, sie zu wiederholen. Zwar waren Brennspiegel im Jahr 212 v.Chr., als die Römer im Lauf des zweiten punischen Krieges die Stadt Syrakus in Sizilien belagerten, durchaus schon bekannt – die Römer selbst etwa benutzten sie, um erloschene Tempelfeuer wieder zu entzünden –, und man kann auch nicht ausschließen, dass der große Tüftler und Erfinder Archimedes tatsächlich daran dachte, solche Spiegel auch auf feindliche Schiffe zu richten. Aber wenn, hat er den Gedanken sicher bald begraben, denn ein fahrendes Schiff aus größerer Entfernung so in Brand zu setzen, ging über die damaligen technischen Möglichkeiten weit hinaus.

    Der römische Historiker Plutarch, der die sonstigen Verteidigungsmaschinen des Archimedes ausführlich schilderte – Wurfmaschinen oder Kräne etwa, um die römischen Galeeren auf Klippen zu ziehen –, erwähnt die Spiegel nicht. 700 Jahre später in einer Abhandlung über Hohl- und Brennspiegel des Anathemios von Tralles auf, einem der Konstrukteure der Hagia Sophia in Istanbul, und dann nochmals weitere 600 Jahre später in der Weltchronik des Mönches Johannes Zonaras. Und seitdem sind die Brennspiegel des Archimedes aus dem kulturellen Erben des Abendlandes nicht mehr wegzudenken.

 

& Lit.: Gerhard Prause: Tratschkes Lexikon für Besserwisser, München 1986; Stichwort »Archimedes« in Brockhaus Enzyklopädie, 19. Auflage, Mannheim 1987.

 

 

18. Irrtum

 

Auge um Auge

Das alte Testament fordert »Auge um Auge, Zahn um Zahn«

 

Diese immer wieder zur Rechtfertigung aller möglichen Rachegelüste herangezogene Bibelstelle ist falsch übersetzt. Eine korrekte Übersetzung wäre: »Der Schädiger muss dem Geschädigten etwas geben, das an die Stelle des Gliedes oder Organs tritt, das nicht mehr seine volle Funktion erfüllen kann« (Lapide). Diese Entschädigung wird von einem Richter festgesetzt, mit Rache hat das nichts zu tun. Das Wort »um« in »Auge um Auge« heißt »an Stelle von«, und in diesem Sinn, d.h. Wiedergutmachung entsprechend dem zugefügten Schaden, wird und wurde diese Bibelstelle von den Juden stets verstanden.

 

Lit.: Pinchas Lapide: Ist die Bibel richtig übersetzt?, Gütersloh 1989.

 

 

 

19. Irrtum

 

Biorhythmus

Die Menschen unterliegen einem Biorhythmus

 

Diese These geht auf Wilhelm Fliess zurück, einen Freund von Sigmund Freud, der mit unserer Geburt drei jeweils 23 Tage, 28 Tage und 33 Tage lange Zyklen starten sah, die, sich wellenförmig überlagernd, unser Schicksal mitbestimmen. So die Theorie von Fliess. Insbesondere solle man sich vor Nulldurchgängen dieser Zyklen hüten, den so genannten »kritischen« Stunden oder Tagen, an denen eine dieser Wellen aus den positiven in die negativen Werte wechselt. Hier sei die Lebenstüchtigkeit gefährdet, das Risiko von Unfällen und Missgeschicken aller Art nähme, nach Fliess, zu diesen Zeiten zu.

    Diese noch heute kommerziell verwertete Theorie ist aber wissenschaftlich nicht zu halten; in mehreren Untersuchungen zu Biorhythmus und sportlicher Leistung, zu Biorhythmus und Verkehrsunfällen oder zu Biorhythmus und dem Sensenmann konnten keine Regelmäßigkeiten aufgefunden werden. Das Schaubild auf S. 41 (mit freundlicher Genehmigung entnommen aus Riedwyl und Widmer, 1976) zeigt z.B. sämtliche 10.480 amtlichen Selbstmordfälle in der Schweiz von 1961 bis 1970, auf die Tage des Biorhythmus der Selbstmörder aufgeteilt: Keiner dieser Tage, ob kritisch oder nicht, fällt in irgendeiner Weise aus der  Reihe.

 

Lit.: W. Dällenbach: »Zur Frage von Biorhythmen und deren technische Anwendung«, Schweizerisches Archiv für angewandte Wissenschaft und Technik 1948; W. Fliess: Der Ablauf des Lebens, Leipzig 1906; M. Gardner: »Freud's friend Wilhelm Fliess and his theory of male and female life cycles«, Scientific American 1967; L. Pircher: »Biorhythmik und Unfallprophylaxe«, Zeitschrift für Präventivmedizin 1972; H. Riedwyl und A. Widmer: »Zur ›Lehre von den Biorhythmen‹ nach Fliess«, Sozial- und Präventivmedizin 1976; G. Schönholzer et al.: »Biorhythmik«, Zeitschrift für Sportmedizin 1972; Stichwort angeregt von Hans Riedwyl.

 

 

20. Irrtum

 

Blitz 1

Der Blitz schlägt nirgends zweimal ein

 

Dieser verbreitete Irrglaube entspringt der gleichen Logik, wegen der ein Mathematiker in Frankfurt einmal seinen Führerschein verlor: »Verrechnet hatte sich in der Nacht zum Donnerstag ein 44jähriger Systemanalytiker und Mathematiker, der von Beamten einer Polizeistreife gebeten worden war, wegen starken Alkoholgenusses sein Fahrzeug stehen zu lassen«, lesen wir in einer deutschen Tageszeitung. Der Wissenschaftler versicherte, er würde sich von seiner Frau abholen lassen, schloss sein Auto ab und ging. Als aber die Beamten kurz darauf an der gleichen Stelle vorbeikamen, sahen sie ihren Freund am Steuer seines Autos davonfahren. »Mit einer solchen Kontrolle hatte ich nicht gerechnet«, entschuldigte sich der Delinquent. »Vorhin wurde ich zum allerersten Mal überhaupt kontrolliert, und nach der Wahrscheinlichkeitsrechnung findet die nächste Kontrolle erst in hundert Jahren statt ...«

    In Wahrheit ist die sog. bedingte Wahrscheinlichkeit, in der nächsten Stunde kontrolliert zu werden, genau die gleiche wie die »normale« Wahrscheinlichkeit: die Wahrscheinlichkeit für zwei Kontrollen in einer einzigen Nacht ist zwar sehr klein, aber wenn man schon einmal angehalten worden ist, steigt sie  ganz gewaltig an; sie ist jetzt so groß wie die Wahrscheinlichkeit für nur eine einzige Kontrolle.

    Daher hat es auch keine Zweck, beim Fliegen eine Bombe mitzunehmen: »Was haben Sie mit der Bombe vor?« fragt streng die Polizei. »Ich dachte nur, zwei Bomben in einem Flieger sind doch extrem unwahrscheinlich«, entgegnet der bekannte Witzbold, »und deshalb habe ich schon mal eine mitgebracht ...«

    Genauso ist auch die Wahrscheinlichkeit für zwei Blitze am gleichen Ort zwar klein, aber die bedingte Wahrscheinlichkeit eines weiteren Einschlages gegeben, der Blitz hat schon einmal eingeschlagen, ist die gleiche wie die unbedingte, normale Wahrscheinlichkeit. (Das Empire-State Building in New York wurde in den ersten 10 Jahren seiner Existenz 68-mal vom Blitz getroffen.) Wer also bei Gewitter unter einen gerade vom Blitz getroffenen Baum flüchtet, wird nur unnütz nass – die Wahrscheinlichkeit, dass der Blitz dort nochmals einschlägt, ist die gleiche wie den Baum zu treffen, unter dem man gerade steht.

 

Lit.: Stichwort »Lightning« in Microsoft CD- ROM Encyclopädie Encarta, 1994; W. Krämer: Denkste! Trugschlüsse aus der Welt des Zufalls und der Zahlen, Frankfurt 1995.

 

 

21. Irrtum

 

Bethlehem

Jesus wurde in Bethlehem geboren

 

Jesus Christus wurde nach Meinung fast aller modernen Bibelforscher in Nazareth geboren; die These der Evangelisten Lukas und Johannes, Jesus sei in Bethlehem zur Welt gekommen, sei eher als Versuch zu werten, die Geburt des Messias dorthin zu verlegen, wo sie nach dem Willen des Alten Testamentes stattzufinden hatte: in die Stadt Davids, in die Stadt, wo David geboren und zum König wurde: »Aber du, Bethlehem-Ephratha, so klein unter den Gauen Judas, aus dir wird hervorgehen, der über Israel herrschen soll (...). Er wird auftreten und ihr Hirt sein in der Kraft des Herrn, im hohen Namen Jahwes, seines Gottes.« (Micha 5,1–3).

    Also schreibt Lukas: »So zog auch Josef von der Stadt Nazareth in Galiläa hinauf nach Judäa in die Stadt Davids, die Bethlehem heißt, denn er war aus dem Haus und dem Geschlecht Davids. Er wollte sich eintragen lassen mit Maria, seiner Verlobten, die ein Kind erwartete.« Aber außer dieser einen einzigen Begründung – »er war aus dem Haus und dem Geschlecht Davids« – hat Lukas und haben andere frühe Kirchenmänner keine weiteren Indizien für diese Reise vorzuweisen, so dass man diese wie auch Marias Niederkunft in Bethlehem als Fiktion und als  Versuch bewerten sollte, das Alte und das Neue Testament nachträglich besser aufeinander abzustimmen.

 

Lit.: Die Bibel – Einheitsübersetzung, Stuttgart 1980; Stichwort »Bethlehem (Jordan)« in der MS Microsoft Enzyklopädie Encarta, 1994; Hans Josef Miller: »Abschied von Bethlehem?«, Katholisches Sonntagsblatt 50/1996, S. 20.

 

 

22. Irrtum

 

 

Davidstern

Der Davidstern ist ein altes jüdisches Symbol

 

Der sechszackige Davidstern, den die Juden unter der Naziherrschaft auf den Kleidern tragen mussten, ist erst sehr spät, im 19. Jahrhundert, zu dem Symbol des Judentums geworden, als das wir ihn heute kennen. Damals begannen die Juden, diesen Stern als Kennzeichen ihres Glaubens auf ihren Synagogen anzubringen, so wie die Christen auf ihren Gotteshäusern ihre Kreuze.

    Bis dato hatte man dem Stern keine besondere Bedeutung beigemessen; er war als eines von vielen magischen Symbolen auch in anderen Kulturen weit verbreitet.

 

Lit.: Encyclopedia Judaica, Philadelphia 1971.

 

 

23. Irrtum

 

Destilliertes Wasser

Wer ausschließlich destilliertes Wasser trinkt, muss sterben

 

Destilliertes Wasser enthält keine Salze; nach einer verbreiteten Legende sollen deshalb Menschen, die nur destilliertes Wasser trinken, ein Opfer der so genannten Osmose werden: Von destilliertem Wasser umgebene Körperzellen sollen sich demnach bei dem Versuch, durch Flüssigkeitsaufnahme den Konzentrationsunterschied von Salzen innerhalb und außerhalb der Zelle auszugleichen, derart voll pumpen, dass sie schließlich platzen.

    Diese Theorie ist aber allein schon deshalb falsch, weil Menschen den größten Teil der nötigen Salze und Mineralien über feste Nahrung zu sich nehmen, die sich dann im Magen mit Getränken aller Art vermengt. Mit anderen Worten: Ob Mineral- oder destilliertes oder Kranenwasser, das Wasser, das mit unseren Verdauungsorganen in Kontakt gerät, enthält auf jeden Fall ausreichend Salz, um diese Osmose zu verhindern.

 

Lit.: Christoph Drösser: »Stimmt's? Wer destilliertes Wasser trinkt, stirbt«, Die Zeit, 19.9.1997; Stichwort angeregt von Christian Kleiber.

 

 

24. Irrtum

 

Diogenes

Diogenes lebte in einer Tonne

 

Der griechische Philosoph Diogenes von Sinope war ein Verfechter des einfachen und anspruchslosen Lebens; zu Alexander dem Großen, der ihm einen Wunsch freigegeben hatte, soll er geäußert haben: »Geh mir aus der Sonne.«

    Aber so weit, in einer Tonne seinen Haushalt aufzuschlagen, ging Diogenes ganz sicher nicht. Diese Legende geht vermutlich auf den römischen Philosophen Seneca zurück, der in seiner Biographie des Diogenes schreibt, ein Mensch von derart anspruchsloser Lebensweise hätte wie ein Hund genauso gut in einer Tonne leben können.

 

Lit.: R. Peyrefitte: Alexander der Eroberer, Hamburg 1982; Das große Personenlexikon zur Weltgeschichte in Farbe, 2 Bände, Dortmund 1983; G. Maurach: Senecas Leben und Werk, Darmstadt 1991.

 

 

25. Irrtum

 

Dreizehn

Die Dreizehn ist die internationale Unglückszahl

 

In Japan ist die Unglückszahl die vier: Das Wort dafür heißt »shi« (= Tod), man findet in ganz Japan kein Hotelzimmer und keinen Sitz im Flugzeug mit der Nummer 4. In Italien ist nicht Freitag, der 13., sondern Freitag, der 17. der Unglückstag: Die römischen Ziffern für 17, also XVII, lassen sich zu »vixi« = lateinisch für »ich bin tot« umstellen. Deshalb kann man in Italien auch keinen Renault 17 kaufen – das Auto heißt dort Renault 117.

 

Lit.: Brockhaus – Wie es nicht im Lexikon steht, Mannheim 1996.

 

 

26. Irrtum

 

Dudelsack

Der Dudelsack ist ein typisch schottisches Musikinstrument

 

Der Dudelsack kommt nicht aus Schottland; es gab ihn schon im alten Griechenland. Auch in Persien, in China und im alten Rom (als »tibia utricularis«) war er bekannt. Im Mittelalter kannten ihn die Franzosen als »cornemuse«, die Italiener als »cornamusa« und die Deutschen als »Sackpfeife«, und selbst in der Bibel wird der Dudelsack erwähnt: »Sobald ihr den Klang der Hörner, Pfeifen und Zithern, der Harfen, Lauten und Sackpfeifen und aller anderen Instrumente hört, sollt ihr niederfallen und das goldene Standbild anbeten, das König Nebukadnezar errichtet hat« (Buch Daniel, 3, 5).

    Vermutlich kam der Dudelsack mit Caesar nach England und von dort aus zu den Schotten, die noch heute gerne darauf spielen. Aber erfunden haben sie die Pfeife sicher nicht.

 

Lit.: Stichwortartikel »Bagpipe« in Microsoft CD-ROM Encyclopädie Encarta, 1994.

 

 

27. Irrtum

 

Ei des Kolumbus

 

Mit dem »Ei des Kolumbus« meint man eine einfache Lösung für ein scheinbar schwieriges Problem: Wie stellt man ein Ei auf seine Spitze? Antwort: man kickt es auf, dann bleibt es stehen. So soll Christoph Kolumbus, nach einem Bericht des Italieners Benzoni (Venedig 1565), auf einem Bankett des Kardinals Mendoza 1493 diese Aufgabe gemeistert haben.

    Schon einige Jahre früher schreibt aber Benzonis Kollege Vasari diese Tat dem Florentiner Filippo Brunelleschi zu. Brunelleschi hätte nach einer heißen Diskussion mit Fachkollegen, wie denn die Kuppel des Florentiner Doms zu bauen sei, die Bezweifler seines Plans gefragt: »Kann einer von euch ein Ei auf seine Spitze stellen?« Natürlich wusste niemand eine Lösung. Dann brachte Brunelleschi auf die bekannte Art das Ei zum Stehen und sagte, genauso einfach wäre es, nach seinen Plänen eine Kuppel für den Dom zu bauen.

    Vermutlich hat aber weder Brunelleschi noch Kolumbus diesen Geistesblitz erfunden; in Spanien gab es schon viel länger die Redensart von »Hänschens Ei«: »Das andere kennst du doch mit Hänschens Ei? Womit viele hoch erhabene Geister sich umsonst bemühen, um auf einen Tisch von Jaspis solches aufrecht hinzustellen; aber Hänschen kam und gab ihm einen Knicks, und es stand« (Calderon, »Dame Kobold«). Vermutlich ist diese Geschichte des aufgepickten Eis mit den Arabern nach Spanien gekommen.

 

Lit.: Fritz C. Müller: Wer steckt dahinter? Namen, die Begriffe wurden, Eltville 1964; Georg Büchmann: Geflügelte Worte, München 1977.

 

 

28. Irrtum

 

Eichenholz

Eichenholz ist das härteste unter den in Deutschland wachsenden Hölzern

 

Die Eiche ist bei weitem nicht der beste Lieferant von harten Hölzern. Härter als Eiche sind zum Beispiel: Buchsbaum, Flieder, Rosenholz, Weißbuche und Weißdorn. Am härtesten von allen hierzulande wachsenden Hölzern ist das der Kornelkirsche.

 

Lit.: W. Lenz: Kleines Handlexikon, Gütersloh 1980; Stichwort vorgeschlagen von Jürgen Kloppenburg.

 

 

29. Irrtum

 

Einstein

Einstein war ein reiner Theoretiker

 

Einstein betätigte sich durchaus auch in angewandter Wissenschaft; in den 20er Jahren hat er z.B., weil ihm die damalige Kühltechnik nicht gefiel, mehrere Dutzend Kühlschrank-Patente angemeldet. (»Es würde mich interessieren«, schrieb ein amerikanischer Patentanwalt, »ob dieser Einstein der gleiche ist, der die Relativitätstheorie erfunden hat. «)

    Die ersten Kühlschränke, die damals noch giftiges Methylchlorid und Schwefeldioxid zum Kühlen nutzten, waren eine Gefahr für Leib und Leben. Einstein hatte in der Zeitung von einer Familie gelesen, die durch diese aus dem Kompressor ausgetretenen giftigen Gase umgekommen war, und hatte sich, um dergleichen Unglücksfälle zu verhindern, zusammen mit seinem Studenten und nachmaligen Physikerkollegen Leo Szilard verschiedene ohne Kompressor arbeitende Kühlschränke ausgedacht, die das Erhitzen und Abkühlen des Kühlgases auf andere Weise besorgten. Eines seiner Modelle ersetzte den mechanischen Kolben durch magnetisch angetriebenes flüssiges Metall, ein anderes trieb den Kühlkreislauf durch Hitze an, und wieder andere Modelle nutzten Verdampfungskälte oder Wasserdruck; insgesamt meldeten Einstein und Szilard mehr als 45 Kühlschrankpatente an.

     Mindestens drei dieser Patente wurden von Elektrofirmen aufgekauft (zwei von der schwedischen Firma AB Elektrolux, eines von der deutschen AEG, die auch 1931 einen ersten Prototyp erstellte), aber es kam nie zur Massenproduktion. Inzwischen hatten amerikanische Chemiker ein ungiftiges Gas für konventionelle Kompressor- Kühlschränke gefunden, und damit waren die Einstein-Kühler kommerziell nicht mehr von Interesse. Dass dieses ungiftige, als FCKW bekannte Kühlschrankgas aus ganz anderen Gründen später selber in die Schlagzeilen geraten sollte, konnte damals niemand ahnen ...

    Nach seiner Übersiedlung in die USA setzte Einstein seine Exkursionen in die Praxis fort; u.a. entwarf er für die amerikanische Marine einen Zünder für Torpedos.

 

Lit.: G. Alefeld: »Einstein as inventor«, Physics today 33, 1980; L.G. Danen: »The Einstein-Szilard Refrigerators«, Scientific American 1/1997; »Einsteins Kühlschrank«, Süddeutsche Zeitung, 30.1.1997; »Einsteins Torpedos,« Der Spiegel 19/1998, S. 221.

 

 

30. Irrtum

 

Einstein war ein schlechter Schüler

 Diese Legende hat schon manchen Schüler über schlechte Noten weggetröstet. Wenn selbst Einstein ...

    In Wahrheit war Einstein alles andere als ein schlechter Schüler; er war nur an Sport und Sprachen wenig interessiert, und auch der Umgangston im Unterricht gefiel ihm nicht: »Die Lehrer in der Elementarschule kamen mir wie Feldwebel vor, und die Lehrer im Gymnasium wie Leutnants«, schrieb er später.

    Deshalb und wegen seiner Verachtung für das Militär – »Wenn einer mit Vergnügen in Reih und Glied zu einer Musik marschieren kann, dann verachte ich ihn schon; er hat sein großes Gehirn nur aus Irrtum bekommen, da für ihn das Rückenmark schon völlig genügen würde« – war Einstein bei den Lehrern unbeliebt, aber diese Unbeliebtheit reichte nie, ihn sitzen bleiben zu lassen oder von der Schule – dem Luitpoldgymnasium in München – zu entfernen.

    »Es wäre nett, wenn du uns eines Tages verlassen könntest«, sagte ihm einmal ein Lehrer, und auf Einsteins Einwand, er habe doch gar nichts getan, erklärte er: »Deine Anwesenheit und deine träumerische und gleichgültige Haltung gegenüber allem, was wir hier zu lehren versuchen, untergräbt den Respekt der  Klasse.«

    In diesem Sinn war Einstein also wirklich ein schlechter Schüler. Aber seine Leistung in Fächern wie Mathematik und Physik, die ihn interessierten, war immer erste Spitzenklasse.....

 

Lit.: Gerhard Prause: Genies in der Schule, Reinbek 1976.

 

 

31. Irrtum

 

Einstein hat den Nobelpreis in Physik für seine Relativitätstheorie bekommen

 

Albert Einstein hat den Nobelpreis für Physik von 1921 nicht für seine berühmte, 16 Jahre vorher veröffentlichte Relativitätstheorie, sondern für seine Arbeiten zu den sog. photoelektrischen Effekten bekommen. Außerdem erhielt er diesen Preis erst ein Jahr später, zusammen mit dem Physik-Nobelpreisträger 1922, dem dänischen Physiker Niels Bohr.

 

Lit.: Chronik des 20. Jahrhunderts, Dortmund 1988.

 

 

32. Irrtum

 

Eis

Eis ist glatt

 

Eis ist wie alle festen Körper überhaupt nicht glatt; die Moleküle an der Oberfläche sind miteinander fest verbunden und erzeugen einen hohen Reibungswiderstand.

    Glatt wird Eis erst, wenn es schmilzt – durch das Wasser auf der Oberfläche nimmt die Reibung ab. So gleiten dann auch Schlittschuhläufer über das Eis – nicht auf dem Eis selber, sondern auf einer dünnen Wasserpfütze, die sie mit ihren Schlittschuhen durch die Reibungswärme erzeugen.

 

Lit.: Robert L. Wolke: Woher weiß die Seife, was der Schmutz ist? Kluge Antworten auf alltägliche Fragen, München 1998.

 

 

33. Irrtum

 

Engel

Engel haben Flügel

 

Wo immer diese Gottesboten im Alten oder Neuen Testament erscheinen, ist von Flügeln keine Rede: »Der Engel des Herrn fand Hagar in der Wüste« (Genesis 16,7); »Der Engel Gottes, der den Zug anführte, erhob sich und ging an das Ende des Zuges« (Exodus 14,19); »Der Engel des Herrn kam und setzte sich unter die Eiche bei Ofra« (Richter 6,11); »im sechsten Monat wurde der Engel Gabriel von Gott in eine Stadt in Galiläa namens Nazareth (...) gesandt« (Lukas 1,26) usw. Die einzigen biblischen Gestalten mit Flügeln sind die Serafim und Cherubim, aber das sind keine Boten Gottes, sondern Mitglieder des göttlichen Hofstaates, die auch schon durch ihre Löwenleiber etwas aus der Rolle fallen.

    Demzufolge werden Engel in der frühchristlichen Kunst auch durchweg ohne Flügel abgebildet. Erst ab Ende des 4. nachchristlichen Jahrhunderts sieht man Engel auch mit Flügeln, vermutlich um ihr plötzliches Erscheinen und Verschwinden wie auch die Auffahrt in den Himmel für die Menschen nachvollziehbarer zu machen. In der Renaissance entwickeln sich dann zusätzlich die beflügelten Mädchen- oder Kinderengel (Putten; bis dato waren Engel durchweg junge Männer), und heute gehört der Flügel zum Engel wie der Zylinderhut zum Schornsteinfeger.

 

Lit.: C. Westermann: Gottes Engel brauchen keine Flügel, Berlin 1957; Engeldarstellungen aus zwei Jahrtausenden (Ausstellungskatalog), Recklinghausen 1959; Wörterbuch des Christentums, München 1995.

 

 

34. Irrtum

 

Eunuchen

Eunuchen sind unfähig zum Geschlechtsverkehr

 

Das hängt von der Art des Eingriffs ab, durch den man zum Eunuchen wird. »Im allgemeinen bestand der Eingriff nur im Wegschneiden der Hoden«, schreibt Werner Keller. »Da jedoch auch danach oft noch eine gewisse Erektionsfähigkeit des Gliedes und damit die potentia coeundi bleibt, wurde im Orient manchem Unglücklichen, vor allem, wenn er als Haremswächter vorgesehen war, obendrein auch noch der Hodensack und der Penis entfernt. Die wenigen, die diese fürchterliche Operation überlebten, standen umso höher im Preis und waren sehr begehrt. «

 

Lit.: Werner Keller: Da aber staunte Herodot, München 1972; A.S. Ackermann: Popular fallacies, Detroit 1995.

 

 

35. Irrtum

 

Fegefeuer

Schon die Bibel droht uns mit dem Fegefeuer

 

Anders als viele Christen glauben, kommt das berühmte Fegefeuer in der Bibel nirgends vor; weder im Alten noch im Neuen Testament ist von dieser »postmortalen Läuterung« die Rede. Erst 200 Jahre nach Christus stellte ein alexandrinischer Kirchenmann namens Origines die These auf, dass wir nach dem Tod noch einer Läuterung bedürften (er gibt sogar exakte Zahlen an: ein Jahr Fegefeuer für jeden Tag, den wir in Sünde auf der Erde leben), und diese These ist dann peu à peu zur offiziellen Kirchenlehre aufgestiegen.

 

Lit.: Theologische Realenzyklopädie, Berlin 1983.

 

 

36. Irrtum

 

Fernrohr

Das Fernrohr ist eine Erfindung von Galileo Galilei

 

Bekanntlich hat Galilei im Januar des Jahres 1610 mit einem selbstgebauten Fernrohr die Monde des Jupiters entdeckt. Aber erfunden hat er dieses Fernrohr nicht. Vielmehr wird unter Experten der holländische Optiker Hans Lipperhey als der eigentliche Erfinder angesehen; er hat nach alten Protokollen der Generalstaaten schon 1608 um ein Patent dafür ersucht, und vermutlich waren es einschlägige Gerüchte aus Holland, wo damals neben Lipperhey auch andere Erfinder an einem Fernrohr arbeiteten, die Galilei auf den Gedanken brachten, sich selbst ein Teleskop zu bauen.

    Aber schon mehr als 100 Jahre vor den Holländern und Galilei hatte Leonardo da Vinci »dicke Brillengläser« zur Vergrößerung von Bildern vorgeschlagen: »Mache Gläser für die Augen, um den Mond groß zu sehen. « Und auch der italienische Physiker Giambatista della Porta hatte schon mehrere Jahrzehnte vor Galilei ein Instrument erdacht, »um aus der Ferne sehen zu können«.

 

Lit.: F.M. Feldhaus: »Fernrohre im Mittelalter«,  Geschichtsblätter für Technik und Industrie 5, 1918; W. Hübschmann: »Leonardo da Vinci erfand das Fernrohr«, Zeitschrift für Naturlehre und Naturkunde 16, 1968; Rolf Riekher: Fernrohre und ihre Meister, 2. Auflage, Berlin 1990; Stichwort vorgeschlagen von J.V. Feitzinger und H. Greßmann.

 

 

37. Irrtum

 

 

Fingernägel

Fingernägel wachsen nach dem Tode weiter

 

Entgegen einem alten Aberglauben wachsen unsere Fingernägel nach dem Tode nicht mehr weiter. Die Sorgen aus einer alten Germanensage sind also unbegründet: »Kein Toter soll beerdigt werden, ohne dass jemand ihm die Nägel schneidet; denn sonst wird das Schiff Naglfar schneller fertig.« (Das Schiff Naglfar wird mit den Fingernägeln der Toten zusammengehalten.)

    Hier noch ein paar andere einschlägige Legenden: Nägelschneiden am Karfreitag ist gut gegen Zahnweh (alternativ: bringt Unglück, lässt den künftigen Mann im Traum erscheinen etc.); Menschen mit krummen Nägeln sterben früh; eine Schwangere, die über abgeschnittene Nägel läuft, verliert ihr Kind; ein Säugling, dessen Nägel man hinter der Eingangstür des Hauses schneidet, lernt gut singen (es sei denn, das Nägelschneiden passiert montags – dann verliert das Kind früh alle Zähne); man muss abgeschnittene Nägel tief vergraben, sonst holen einen die Hexen (alternativ: dreimal draufspucken oder nochmals in drei Teile schneiden); und so weiter. Jedoch hat sich nur der Glaube an das Weiterwachsen nach dem Tode bis heute weltweit halten können.

 

Lit.: Sophie Lasne und Andre Pascal Gaultier: Dictionnaire des superstitions (engl. Übersetzung: A dictionary of superstitions, Englewood Cliffs 1984).

 

 

38. Irrtum

 

 

Fisch

Fische sind taub und stumm

 

Viele Fische können durchaus Schallwellen wahrnehmen; die nötigen Organe, die sog. »Fischohren«, befinden sich in Kapseln hinter den Augen. Manche, wie Knurrhahn, Tigerfisch, Krächzerfisch, Hornfisch, Katzenwels und der gemeine Trommelfisch, erzeugen auch mehr oder weniger laute Töne (um sich mit Artgenossen zu verständigen, aber auch um Feinde abzuschrecken), die mit empfindlichen Mikrofonen aufgefangen werden können. Dabei bedienen sie sich der Flossenknorpel, der Zähne oder ihrer Luftblase. (Bei Katzenwelsen etwa wird die ausweichende Luft an Membranen vorbeigeführt, die zu schwingen anfangen und damit Geräusche hervorbringen.)

 

Lit.: Roland Michael: Wie, Was, Warum? Augsburg 1990.

 

 

39. Irrtum

 

Flache Scheibe

Im Mittelalter hielt man die Welt für eine flache Scheibe

 

Seit Aristoteles hält und hielt kein seriöser Gelehrter die Welt für eine flache Scheibe. Insbesondere haben auch die gelehrten Mönche des Mittelalters niemals und zu keiner Zeit behauptet, dass die Erde eine Scheibe wäre. Von Beda Venerabilis (673–735) bis Thomas von Aquin (1225–1292), von den Lehrern Karls des Großen bis zu den Beichtvätern der Könige von Spanien und Portugal (die den Plan des Kolumbus, durch Westwertssegeln Indien zu erreichen, als unmöglich abgewiesen haben sollen, da man so vom Rand der Welt herunterfallen müsse): Kein maßgeblicher Kirchenmann des Mittelalters hat je die Kugelform der Erde angezweifelt, in keinem einzigen anerkannten, zwischen den Jahren 200 n. Chr. und 2000 n. Chr. erschienenen, ob von geistlichen oder weltlichen Gelehrten verfassten Lehrbuch der Astronomie oder Physik ist je von einer flachen Welt gesprochen worden.

    Der Kronzeuge der populären Theorie, dass man im Mittelalter die Welt für flach gehalten hätte, ist der griechische Mönch Kosmas Indikopleustes (Kosmas der Indienfahrer), der im 6. nachchristlichen Jahrhundert vermutlich in Alexandria lebte und der nicht nur die Welt für flach, sondern in strenger Auslegung diverser Bibelverse darüber hinaus auch für viereckig und im Norden von einem hohen Berg begrenzt erklärte, um den sich Mond und Sonne drehten. Verschwindet die Sonne hinter dem Berg, so wird es Nacht; im Sommer steigt die Sonne höher, wegen des mit der Höhe geringeren Umfangs des Berges werden dann die Nächte kürzer.

    Und so soll dann der Siegeszug der Dummheit angefangen haben: »Jeder, der sich z.B. nur mit antiker Geographie befasst hat, kann ein Lied davon singen, wie es eben die büffelhafte Borniertheit der Mönche war, die über ihren christlich-topographischen Träumen fast sämtliche alten Geographien verloren gehen ließen« (Arno Schmidt). »Unter dem Einfluss des Christentums geriet die Erkenntnis von der Kugelgestalt der Erde annähernd anderthalb Jahrtausend in Vergessenheit. Solange die Erde als Scheibe angesehen wurde, war jede gegenteilige Lehre Ketzerei. « (Dreyer-Eimbcke).

    In Wahrheit wurde die »Christianike Topographia« des Kosmas Indikopleustes nie sehr ernst genommen; sie wurde weder ins Lateinische übersetzt, noch sonst wie weit verbreitet, sie war nie die Mehrheitsmeinung klerikaler Geographen. Niemand wurde im Mittelalter von der Kirche zum Glauben an die flache  Erde angehalten, und so war auch bis weit in die Aufklärung von klerikalen Flacherdenvertretern keine Rede; kein einziger der durchaus antiklerikalen Rationalisten des 18. Jahrhunderts, weder Voltaire noch Diderot noch Kant noch Hume noch Leibniz, hat dem Mittelalter, dem man ansonsten alles Schlechte zutraute, diesen Irrtum vorgeworfen.

    Der moderne Mythos von den dummen Mönchen ist eine Schöpfung des späten 19. Jahrhunderts, als man fast zwanghaft jeden Fortschritt in den Wissenschaften als einen Kampf zwischen klerikalen Dunkelmännern und aufgeklärten Wissenschaftlern sehen wollte. Vor allem zwei Männer, der amerikanische Arzt und Kirchenhasser John B. Draper (1811–1882) und der Gründer der Cornell-Universität, Andrew Dickson White (1832–1918), waren für dieses nachträgliche Umschreiben der Wissenschaftsgeschichte verantwortlich. In seiner »History of the conflict between Religion and Science« (mehr als 50 Auflagen seit 1874) schreibt Draper: »Die Geschichte der Wissenschaften ist nicht allein eine Geschichte isolierter Entdeckungen; es ist die Geschichte eines Kampfes zweier rivalisierender Mächte, der vorwärts schreitenden Macht des menschlichen Geistes auf der einen und des retardierenden traditionellen Glaubens auf der anderen Seite. (...) Glaube ist von Natur aus beharrend, Wissenschaft ist von Natur aus vorwärts strebend, deshalb kann es zwischen diesen beiden keinen dauerhaften Frieden geben. «

    Und zum Beweis für diesen Kampf zwischen der vorwärts strebenden Wissenschaft auf der einen und der »retardierenden« Religion auf der anderen Seite streute Draper dann den Mythos von der flachen Erde aus.

    Dito White. Anders als Draper sieht er zwar nicht die Religion an sich, sondern die Heilsgewissheit mancher Kirchenmänner als die eigentlichen Stolpersteine auf dem Weg des Fortschritts, aber letztendlich läuft auch seine 1896 erschienene »History of warfare of Science with theology in christendom« auf eine exklusive Verurteilung der Religion hinaus. Und wie Draper macht auch White seine These an der angeblich von Kirchenleuten propagierten flachen Erde fest.

    Der Erfolg dieser Kampagne ist noch heute weltweit nachzuweisen: Um 1870 z.B. war in keinem einzigen englischen Schul-Geschichtsbuch von der mittelalterlichen flachen Welt die Rede – zehn Jahre später fast in allen.

 

Lit.: Arno Schmidt: Kosmas oder Vom Berge des Nordens, Frankfurt a.M. 1955; Oswald Dreyer-Eimbcke: Die Entdeckung der Erde, München 1988; J.B. Russell: Inventing the flat earth, New York 1991; Rudolf Simek: Erde und Kosmos im Mittelalter, München 1992; Stephen Jay Gould: The Dinosaur in a haystack, London 1997 (besonders Kapitel 4: »The late birth of a flat earth«); Eckhard Henscheid, Gerhard Henschel und Brigitte Kronauer: Kulturgeschichte der Missverständnisse, Stuttgart 1997 (besonders der Abschnitt »Scheibe, Kugel, Birne, Tisch«); Stichwort vorgeschlagen von Hartmut Kliemt.

 

 

40. Irrtum

 

Freitag, der Dreizehnte

Freitag, der Dreizehnte hebt sich durch nichts Besonderes hervor

 

Der Dreizehnte eines Monats fällt öfter auf einen Freitag als auf jeden anderen Wochentag.

    Der Kalender wiederholt sich alle 400 Jahre. Wenn wir, beginnend an irgendeinem Tag, die nächsten 400 Jahre = 4800 Monate auszählen, haben wir 4800 mal einen Dreizehnten des Monats, und der verteilt sich wie folgt auf die Wochentage:

 Montag685

Dienstag685

Mittwoch687

Donnerstag684

Freitag688

Samstag684

Sonntag687

Summe4800

 In 400 Jahren macht das keine großen Unterschiede. Aber wenn die Erde noch weitere vier Milliarden Jahre überdauert (dann wird die Sonne zu einem Roten Riesen und frisst die Erde auf), werden wir 40 Millionen mal mehr den Dreizehnten an einem Freitag als an einem Samstag haben.

 

Lit.: J.O. Irwin: »Friday 13th«, The Mathematical  Gazette 55, 1971, S. 412–415.

 

 

41. Irrtum

 

Friedenstaube

Tauben sind friedliche Tiere

 

Tauben sind durchaus nicht friedlich; in ihrer Rolle als Symbol des Friedens sind sie eine klare Fehlbesetzung. »Außer am Marterpfahl der Indianer hat wohl kaum ein anderes Lebewesen einem Artgenossen in solch ausdauernder Kleinarbeit ähnlich grässliche, zu einem langsamen, fürchterlichen Tod führende Wunden beigebracht« wie eine Taube.

    Damit spielt Vitus B. Dröscher, dem wir in diesem Stichwort folgen, auf ein Experiment von Konrad Lorenz an; Lorenz hatte über eine kurze Dienstreise sein Taubenmännchen Willy und sein Taubenweibchen Petra in ein und demselben Käfig zurückgelassen, in der Hoffnung, so ihrer Liebe etwas nachzuhelfen. Doch bei seiner Rückkehr war von Liebe keine Rede: »Willy lag in einer Käfigecke auf dem Boden. Hinterkopf, Oberseite des Halses und der ganze Rücken bis an die Schwanzwurzel waren nicht nur völlig kahlgerupft, sondern so geschunden, dass sie eine einzige Wundfläche bildeten. Auf der Mitte dieser Fläche, wie ein Adler auf seiner Beute, stand das zweite Friedenstäubchen, Petra, die ›Braut‹. Mit dem versonnenen Gesichtsausdruck, der dem vermenschlichenden Beobachter diese Vögel so sympathisch erscheinen lässt, pickte das Vieh pausenlos in den Wunden des  buchstäblich ›Unterlegenen‹ herum. Raffte sich der auf, um mit letzter Kraft zu entkommen, war die Amazone schon wieder hinter ihm, klapste ihn mit den weichen Flügelchen zu Boden und setzte ihr erbarmungsloses, langsames Tötungswerk fort, obwohl sie selbst davon schon so müde war, dass ihr immer wieder die Augen zufallen wollten.«

    Dieses Verhalten zeigen Tauben regelmäßig, wenn man mehr als zwei in einen Käfig sperrt: Sie hacken so lange aufeinander ein, bis einer oder eine nicht mehr lebt.

 

Lit.: Vitus B. Dröscher: Mit den Wölfen heulen, Düsseldorf 1978.

 

 

42. Irrtum

 

Friedhof

Friedhof hat etwas mit »Frieden« zu tun

 

Friedhof kommt vom althochdeutschen »frithof« = Vorhof, Vorplatz, Vorraum einer Kirche. Es bedeutet »eingefriedeter, beschützter Platz«. Da dieser eingefriedete, beschützte Platz vor den Kirchen oft auch als Begräbnisstätte diente, hat diese eingeschränkte Bedeutung peu à peu das Wort für sich alleine in Beschlag genommen.

 

Lit.: Etymologisches Wörterbuch des Deutschen, 2. Auflage, Berlin 1993.

 

 

43. Irrtum

 

Geheimrat

Ein Geheimrat hat etwas mit Heimlichtuerei zu tun

 

Ein Geheimrat oder auch Geheimer Rat ist ein »Vertrauter Rat«. »Geheim« hieß früher »zum Haus gehörig«, im Sinn von »vertrauenswürdig«; erst viel später erhielt das Wort »geheim« auch die Bedeutung von heimlich oder »streng vertraulich«.

 

Lit.: Duden – Herkunftswörterbuch; München 1989.

 

 

44. Irrtum

 

Gehirn

Intelligente Menschen haben ein schwereres Gehirn als dumme

 

Entgegen einem alten Vorurteil hat das Gewicht unseres Gehirns nicht viel mit dessen Qualität zu tun. Worauf es ankommt, ist in erster Linie die Zahl der grauen Zellen in der Rinde unseres Hirns.

    Bei Männern wiegt das Gehirn im Durchschnitt 1375 Gramm; wie die folgende Tabelle zeigt, weicht das Gehirngewicht von Männern, die alle als begabte Denker galten, davon nach oben wie nach unten teils beträchtlich ab:

Iwan Turgenjew2012 g

Otto von Bismarck1807 g

Immanuel Kant1600 g

Friedrich Schiller1530 g

Raffaelo Santi1161 g

Anatole France1160 g

   

Lit.: Kleines Handlexikon, Gütersloh 1969.

 

 

45. Irrtum

 

Gehirn

Der Mensch nutzt nur 10 Prozent seines Gehirns

 

Sämtliche Zellen unseres Gehirns sind auf die eine oder andere Weise an unserem Denken und Erinnern beteiligt (das sieht man allein schon daran, dass bei Ausfall eines Teils der Zellen immer irgendwelche Gehirnfunktionen leiden). Vermutlich hatte Einstein, dem obige These zuweilen zugesprochen wird, nur sagen wollen, zu einem gegebenen Zeitpunkt wäre nur jede zehnte Zelle unseres Gehirns aktiv.

    Das mag stimmen oder auch nicht – in jedem Fall wird jede Zelle des Gehirns und nicht nur jede zehnte Zelle wirklich auch gebraucht...

 

Lit.: Christoph Drösser: »Stimmt's? Der Mensch nutzt nur zehn Prozent seiner Gehirnkapazität«, Die Zeit, 26.9.1997; Stichwort vorgeschlagen von Christian Kleiber.

 

 

46. Irrtum

 

Geld

Unser Geld ist durch Gold und Devisen der Zentralbank abgesichert

 

Unser Papiergeld ist genau das: Papier. Der Bäcker gibt uns dafür Brötchen, und der Autohändler Autos, nicht weil diese Scheine einen Anspruch auf einen Staatsschatz irgendwo in den Kellern der Bundesbank in Frankfurt verbriefen – das tun sie nämlich nicht –, sondern weil er weiß, dass er mit diesen Scheinen seinerseits etwas bezahlen kann.

    Früher war Geld, ob in Form von Gold, Silber, Kamelen, Muscheln oder Zigaretten, auch aus sich selbst heraus geschätzt und wertvoll, und deshalb haben viele Menschen auch heute noch die vage Vorstellung, dass die Scheine in unseren Geldbörsen eine Art Ersatzgutscheine sind, um uns das Herumschleppen des »echten« Geldes zu ersparen.

    Diese Zeiten sind aber lange vorbei. Im London des 17. Jahrhunderts, in den Kindertagen des Papiergelds, stellten Juweliere ihren Kunden gegen Gold Bescheinigungen des Inhalts aus, dass die Kunden jederzeit das Gold zurück verlangen konnten; diese Scheine wurden später übertragbar und ersparten damit den Besitzern bei größeren Transaktionen sehr viel Mühe: statt des »echten« Geldes zahlte man mit Scheinen; dem Verkäufer war das einerlei, denn er  konnte jederzeit beim Juwelier das »echte« Geld zurückverlangen.

    Heute dagegen bürgen weder private noch staatliche Notenbanken für irgendwelche Werte hinter dem Papiergeld, das sie drucken. Als letzte hat die amerikanische Notenbank die Verpflichtung widerrufen, jederzeit zu einem festen Preis ihre Dollarscheine gegen Gold zurückzutauschen (am 15.8.1971); seitdem verbrieft Papiergeld weltweit nur noch das Recht, dass wir damit unsere Schulden abbezahlen dürfen (gesetzliches Zahlungsmittel); davon abgesehen ist es aus sich selbst gesehen völlig ohne Wert.

 

Lit.: E.V. Morgan: A history of money, London 1965, R. Sedillot: Muscheln, Münzen und Papier. Geschichte des Geldes. Frankfurt 1995.

 

 

47. Irrtum

 

Giftgas

Giftgas ist eine Erfindung des 20. Jahrhunderts (s.a. ð »Flammenwerfer«)

 

Mehr als tausend Jahre vor dem Ersten Weltkrieg haben die Chinesen in Kriegen Giftgas eingesetzt. Schon im 4. Jahrhundert hatten sie die Mittel, ihre Feinde mit Rauch aus Senfgas zu betäuben: sie trieben den Rauch mit Gebläsen auf die feindlichen Soldaten zu. Bekannt ist auch, dass die Mongolen in der Schlacht bei Liegnitz 1241 die christlichen Ritter mit »Dampfausstoßenden Kriegsmaschinen« in Erschrecken setzten.

 

Lit.: Walter Böttger: Kultur im alten China, Leipzig 1977.

 

 

48. Irrtum

 

Ginseng

Ginseng hält jung

 

Die Wunderwurzel Ginseng wirkt ihre Wunder leider nur in der Reklame: »Irgendwann trifft es jeden. Plötzlich merkt man, daß man nicht mehr so kann wie früher. Jetzt heißt es: nicht den Kopf hängen lassen. « Und möglichst viele teure Ginseng-Wurzeln essen. Denn »Ginseng ist ein Kraftquell zur Stärkung der körperlichen und geistigen Leistungsfähigkeit«, es macht müde Männer munter und lässt uns alle spritzlebendig 120 werden.

    Nach aktueller Mehrheitsmeinung der Ernährungswissenschaft ist das aber alles Einbildung – im Großen und Ganzen enthält die Ginseng-Wurzel nicht mehr und nicht weniger Wirkstoffe als viele andere Wurzeln auch; ihre Popularität verdankt sie vor allem der Cleverness ihrer Produzenten und der Dummheit ihrer Käufer.

 

Lit.: Arnold E. Bender: Health or hoax? The truth about health food and diets, Goring-on-Thames 1985.

 

 

49. Irrtum

 

Glühwürmchen

 

Glühwürmchen sind Käfer, keine Würmer. Es gibt mehrere Arten, in Europa am bekanntesten die Lampyris noctiluca.

    Das Licht erzeugen die Glühwürmchen (übrigens nur die Weibchen) durch die Reaktion von Luziferin, einer chemischen Substanz, und Sauerstoff, wobei ein weiterer Stoff, Luziferasse, eine Katalysatorrolle übernimmt, d.h. die chemische Reaktion als neutraler Begleiter unterstützt. Außerdem bewirkt noch eine Schicht von Ammoniumnitratkristallen eine bessere Streuung des Lichts.

    Ein besonders bemerkenswertes Glühwürmchen ist das Weibchen des Phrixothrix, welches in Südamerika vorkommt: Es sendet sowohl rotes als auch grüngelbliches Licht aus, entweder gleichzeitig oder abwechselnd. Das Rotlicht kommt vom Kopf, das Grünlicht von einer Anzahl leuchtender Organe am Leib.

 

Lit.: William C. Vergara: Das Blaue vom Himmel herunter gefragt, Augsburg 1993.

 

 

50. Irrtum

 

Grünspan

Auf Kupferdächern kann man zuweilen Grünspan sehen

 

Der grüne Belag auf Kupferdächern ist kein Grünspan, sondern Patina. Beides sind Kupferverbindungen, wenn auch von unterschiedlichem Charakter: Grünspan entsteht durch die Verbindung von Kupfer mit einer Säure (konkret: durch die Verbindung von Kupfer mit Essigsäure), Patina (italienisch für Firnis) entsteht durch die Verbindung von Kupfer mit einer Base (konkret: durch die Verbindung von Kupfer mit basischen Karbonaten, Sulfaten und Chloriden). Und da Essigsäure in der Atmosphäre nur in verschwindend kleinen Mengen vorkommt, entsteht der Grünbelag auf Kupferdächern durch Basen und ist damit Patina.

 

Lit.: Gmelins Handbuch der anorganischen Chemie, Berlin 1977; Stichwort vorgeschlagen von Stefan Fassbinder.

 

 

51. Irrtum

 

Gutenberg

Gutenberg war der Erfinder der Buchdruckkunst

 

Schon mehr als tausend Jahre vor Gutenberg wurden in China Bücher nicht mehr handgeschrieben, sondern maschinell gedruckt. Anders als die Griechen oder Römer, die auf Papyrus oder Vellum schreiben mussten, beides zum Drucken nicht geeignet (Papyrus war zu zerbrechlich, Vellum zu teuer), kannten die Chinesen seit etwa 100 v. Chr. schon das druckerfreundliche Papier, und sie druckten auch darauf. Die ältesten noch erhaltenen, noch mittels Holzrelief gedruckten Texte stammen aus dem 2. Jahrhundert n. Chr. Ebenfalls noch per Holzrelief gedruckt wurden mehrere hundert Jahre später die 130.000 Seiten der als »Tripitaka« bekannten Bibel des Buddhismus, aber noch vor der Jahrtausendwende und damit mehr als 400 Jahre vor Gutenberg begann man, die im wahrsten Sinn des Wortes »en bloc« in eine Holzplatte geschnitzten durch bewegliche Schriftzeichen zu ersetzen.

    Gutenbergs Verdienst liegt also nicht in der Erfindung, sondern in der Perfektionierung dieser Technik: Seine Schriftzeichen waren aus Metall, die der Chinesen aus Holz; seine Druckerfarbe löste sich nicht in Wasser, die der Chinesen löste sich in Wasser auf, und anders als die Chinesen presste Gutenberg nicht das Papier gegen eine feste Druckerplatte, sondern eine bewegliche Druckerplatte gegen das festliegende Papier.

    Und dann hatte Gutenberg auch noch Glück: Während seine chinesischen Konkurrenten mit mehreren Tausend Schriftzeichen zu kämpfen hatten (die chinesische Schrift kennt keine Buchstaben, nur Zeichen für Silben oder ganze Wörter; siehe Stichwort ð »Chinesische Sprache«), waren es bei Gutenberg nur 26.

 

Lit.: Stichwort »Printing« in der MS Microsoft Enzyklopädie Encarta, 1994; Stichwort vorgeschlagen von P. Häcker.

 

 

52. Irrtum

 

Guter Rutsch

Wir wünschen »Guten Rutsch«, um gut ins neue Jahr zu rutschen

 

Unser »Guter Rutsch« an Silvester und an Neujahr kommt aus dem hebräischen »rösch« (= Anfang) und hat mit Rutschen nichts zu tun.

 Lit.: Christoph Gutknecht: Lauter böhmische Dörfer, München 1996.

 

 

53. Irrtum

 

Hals- und Beinbruch

Die Floskel »Hals- und Beinbruch« hat etwas mit gebrochenen Knochen zu tun

 

»Hals- und Beinbruch« kommt aus dem jiddischen »hazloche und broche« = Glück und Segen.

 

Lit.: Eckhard Henscheid, Gerhard Henschel und Brigitte Kronauer: Kulturgeschichte der Missverständnisse, Stuttgart 1997 (besonders der Abschnitt »Etymologie auf dem Holzweg«).

 

 

54. Irrtum

 

Hamburger

 

Die meisten Engländer und Amerikaner, aber auch manche Schnellimbiss-Kunden hierzulande glauben, »Hamburger« käme von Schinken = ham, so wie »Cheeseburger« von cheese = Käse oder »Fishburger« von Fisch.

    In Wahrheit hat der Hamburger seinen Namen tatsächlich von der Stadt Hamburg. Ursprünglich ein einfaches Hackfleisch, so wie von den Tataren Russlands im Deutschland des 14. Jahrhunderts übernommen (die Tataren wollten durch das Kleinhacken vor allem das zähe Fleisch der russischen Steppenrinder genießbarer machen; noch heute erinnern wir uns daran mit dem »Beefsteak Tatar«), kam dieses mit deutschen Auswanderern über Hamburg nach Amerika; dort klemmte man es dann, vermutlich um Besteck zu sparen, nach dem Braten zwischen die zwei Seiten eines aufgeschnittenen Brötchen.

    Auf der Weltausstellung in St. Louis 1904 wurden dieses Hackfleischbrötchen als »Hamburg« verkauft (noch ohne »er« am Schluss); weniger später kam dann noch das »er« dazu, und so heißen diese Hackfleischbrötchen heute noch Hamburger.

 

Lit.: Charles Panati: Universalgeschichte der ganz gewöhnlichen Dinge, Frankfurt 1994.

 

 

55. Irrtum

 

Heilige Drei Könige

 

Die Heiligen Drei Könige, deren Gebeine man im Kölner Dom verehrt, sind strikt gesehen keine Heiligen: ein Heiliger oder eine Heilige muss von der Katholischen Kirche in einem eigenen Verfahren dazu erhoben werden, und ein solches Verfahren hat es für die Heiligen Drei Könige nie gegeben.

    Auch Könige sind die Herren Kaspar, Balthasar und Melchior nie gewesen – in der Bibel ist nur von »Weisen«, »Magiern« bzw. »Sterndeutern« die Rede. Und auch die Namen selber sind erfunden, sie werden in der Bibel nirgendwo erwähnt; zum ersten Mal ist in einer um 500 nach Christus in armenischer Sprache abgefassten Kindheitsgeschichte Jesu von den drei Königen Melkon von Persien, Gaspar von Indien und Baltassar von Arabien die Rede, vorher nicht. Der Evangelist Matthäus, der als einziger im Neuen Testament von der Anbetung berichtet, erwähnt mit keiner Silbe, wie die Anbeter heißen, oder wie viele es überhaupt waren.

    Dass es drei gewesen seien, wurde aus den drei Gaben – Weihrauch, Myrrhe, Gold – nicht ganz wasserdicht zurück geschlossen (oder man hat auch nur die in der christlichen Mythologie so wichtige Zahl Drei auf die Anbetung im Stall zu Bethlehem übertragen). Zu Königen wurden die Sterndeuter erst in nachträglichen Interpretationen, u.U. wegen einer missverständlichen Übersetzung von »Magier« (»König« meinte zu Zeiten Jesu etwas ganz anderes als im Mittelalter, nämlich weit weniger; fast jeder Vasall der Römer war damals ein »König«) oder aber aufgrund einer Prophezeiung aus dem Alten Testament, wo es heißt: »Die Könige von Tharsis und auf den Inseln sollen Geschenke bringen ...«

    Nach Köln kamen die Könige bzw. deren Gebeine im Jahr 1158 auf Veranlassung des Reichskanzlers und Kölner Erzbischofs Rainald von Dassel; er hatte sie einem Reliquienhändler in Mailand abgekauft, vielleicht sich auch von den Bürgern der Stadt Mailand schenken lassen – die näheren Umstände des Erwerbs sind nicht genau geklärt. Die Mailänder hatten die Reliquien angeblich Ende des 4. Jahrhunderts selbst als ein Geschenk erhalten, und zwar vom Kaiser aus Byzanz, wohin wiederum sie aus Palästina gekommen sein sollen, wo sie die Mutter des Kaisers bei einer Pilgerfahrt gefunden haben will.

    Aber was tun die Gebeine der Sterndeuter in Palästina? So heißt es etwa in der Bibel, die Weisen seien nach Anbetung in ihre Heimat, wahrscheinlich das Zweistromland Mesopotamien, zurückgekehrt, so dass dort auch ihre Knochen liegen. Und auch die Überführung von Konstantinopel nach Mailand ist nur in  einer posthumen Biographie eines Mailänder Bischofs erwähnt, der »Vita Eutorgii«, die mehrere hundert Jahre später ausgerechnet in Köln entstand. Vermutlich hat also Rainald von Dassel als rechte Hand des Deutschen Kaisers diese Legende einfach politisch ausgenützt, um im damaligen Streit zwischen Papst und Kaiser seinem Herrn, dem Kaiser, einen Vorteil zu verschaffen: die Könige, also die weltlichen Herrscher, waren die ersten, die das Christkind anbeteten, und haben deshalb, so die Logik Dassels, Vorrecht vor dem Papst. Daher ist auch klar, warum die Partei des Papstes keine Eile hatte, durch eine Heiligsprechung diese Sicht der Dinge zu befördern.

 

Lit.: Gerhard Prause: Tratschkes Lexikon für Besserwisser, München 1986 (besonders der Abschnitt »Drei Könige«); Konradin Ferrari d'Occhieppo: Der Stern von Bethlehem in astronomischer Sicht, Gießen 1994 (besonders der Abschnitt »Über die Magier« auf den Seiten 133ff.).

 

 

56. Irrtum

 

Hering

Der Hering ist ein reiner Salzwasserfisch

 

Von den rund 160 Heringsarten, die es heute gibt, leben einige auch in süßem Wasser: Der Maifisch und der Kaspi-Hering etwa wandern weit in den Oberlauf von Flüssen.

 

Lit.: W. Eigener: Großes Farbiges Tierlexikon, Herrsching 1982.

 

 

57. Irrtum

 

Hornissen

Ein Hornissenstich ist besonders gefährlich

 

Der Stich einer Hornisse (Vespa crabro) ist nicht gefährlicher als der Stich einer Biene oder Wespe; der Volksglaube, drei Hornissen könnten einen Menschen töten, sieben gar ein Pferd, ist falsch. Entscheidend ist allein, wohin die Hornisse sticht. Ein Stich in die Zunge oder in die Lippe, in den Mund oder in ein Blutgefäß ist immer gefährlich, aber dies gilt auch für eine Biene oder Wespe. In jedem Fall ist der Stich einer Hornisse wegen des hohen Anteils von Serotonin, Acetylcholin und Histamin im Hornissengift besonders schmerzhaft, und manche Menschen reagieren auf das Gift allergisch.

 

Lit.: Grzimeks Tierleben, Bd. 2, Stuttgart 1969.

 

 

58. Irrtum

 

Hundertjähriger Krieg

Der Hundertjährige Krieg dauerte hundert Jahre

 

Der so genannte Hundertjährige Krieg, den sich die Franzosen und Engländer im Mittelalter lieferten, dauerte in Wahrheit 114 Jahre, von 1339 bis 1453. Er begann, als die französische Königsfamilie der Kapetinger ausstarb und der englische König Eduard III. den vakanten Thron reklamierend, Frankreich England einverleibte. Die Franzosen wehrten sich, und nach wechselvollen Kämpfen mussten sich die Engländer bis 1453 vollständig zurückziehen, sie behielten nur die Kanalinseln und Calais (bis 1558 englisch).

 

Lit.: Stichwort »Hundertjähriger Krieg« in Brockhaus Enzyklopädie, 19. Auflage, Mannheim 1990.