15. Kapitel

 

 

Die Kapelle von Rosslyn

 

 

    Die Kapelle von Rosslyn, eigentlich die Rosslyn Collegiate Church, existiert im realen Leben. Die Kapelle liegt im schottischen Landstrich Lothian am Fluss Esk, acht Meilen südlich von Edinburgh am Rand des Dorfes Roslin.

Der Name Rosslyn leitet sich ab von den gälischen (schottischen) Wörtern „ross“, was „felsiger Vorsprung“ bedeutet, und „lynn“, womit ein „Wasserfall“ gemeint ist. Die Kapelle wurde derart errichtet, dass man einen guten Blick auf den darunter liegenden Rosslyn Glen hat. Es existieren dort allerdings keine Höhlen. Ausgrabungen, um eventuell vorhandene unterirdische Gänge aufzuspüren, hätten womöglich den Einsturz des Gebäudes zur Folge.

Unter William Sinclair, dem Grafen von Orkney, begann der Kirchenbau um 1450. Offenbar war das Gebäude deutlich größer geplant, aber nur der Chor wurde vollendet. Die Kapelle ähnelt zwar anderen Kollegkirchen, die zur gleichen Zeit entstanden, das Ausmaß der Verzierung ist dennoch äußerst ungewöhnlich.

Die Wirkung der zahllosen Schnitzereien ist beeindruckend und ein wenig überbordend, so als hätte sich eine Person mit all ihrem Schmuck behängt. Die Arkadenbögen, Kapitelle, Balkenverläufe und Fensterbögen sind mit Laubschnitzereien verziert und zwischen den Fenstern befinden sich bebilderte Kragensteine und Vordächer.

Die auf Holzbrettern aufgezeichneten Pläne für Rosslyn gingen während der Reformation verloren. Es existieren keinerlei Dokumente, die darüber Aufschluss geben, warum Earl William nahezu jeden Zentimeter seiner Kapelle mit Verzierungen versehen ließ. Der einzige Überrest eines Bauplanes befindet sich an der Wand der Krypta, die vermutlich als Erstes stand. Dort sind noch immer Spuren von Zeichnungen eines Bogens, eines Spitztürmchens, eines Teiles des Dachgewölbes und zweier Kreise zu erkennen. Es ist daher nicht verwunderlich, dass die detaillierten Verzierungen in Rosslyn der Ursprung für mehrere Legenden sind. Es lässt sich durchaus die Vermutung aufstellen, dass diese Gebilde weniger mit einer Verzierung als mehr mit einer Art Geheimsprache und Hinweise etwas zu tun haben. Aber welches Geheimnis verbirgt die Kapelle?

Das Schicksal der Kapelle von Rosslyn war mit dem der Familie Sinclair eng verbunden. Diese wiederum durchlebte eine Krise von fast zweihundert Jahren Dauer. Die Sinclairs wählten die Verliererseite im schottischen Machtkampf und verharrten im Katholizismus, als das Land sich dem Protestantismus zuwandte.

Die Verbindung der Familie Sinclair zur Maurergilde und später zum Orden der Freimaurer begann im frühen siebzehnten Jahrhundert. Die Maurergilde stand unter der Leitung des Obersten Baumeisters.

Im Jahr 1583 ging der Titel an William Schaw aus der Familie der Lairds of Sauchie. Die Familie Schaw war katholisch, was William jedoch nicht davon abhielt, bei Hof eine erfolgreiche Laufbahn zu beginnen. Als Diplomat diente er der Krone in Übersee, wenngleich ihn die schottische Entsprechung einer Geheimpolizei als möglichen Jesuiten aufführte.

Nach der Ernennung zum Obersten Baumeister machte Schaw sich daran, die Freimaurer zu organisieren, und setzte Statuten für sie auf. Um 1600 kam er zu dem Schluss, dass die Maurer einen adeligen Patron, den so genannten >Lord-Protector< benötigten. Es ist nicht bekannt, warum diese Ehre William Sinclair, dem damaligen Baron von Rosslyn, zuteil wurde.

Dieser William nun entpuppte sich als wahrer Musterbürger, und obgleich Schaw in der Zwischenzeit verstorben war, setzte man eine Charta auf, die Sinclair zu einem offiziellen Patron der Freimaurer machte.

Dies hatte allerdings nichts mit der späteren Freimaurerei zu tun. Es war vielmehr ein Abkommen zwischen dem Baron von Rosslyn und der Gilde.

Dennoch gehörten die Lords von Rosslyn 1697 zu den ersten schottischen Freimaurern und hatten die Pflicht und das Recht, das Meisterwort zu empfangen. Etwa ab dieser Zeit ranken sich die Legenden um Rosslyn.

Die zwei Säulen, die des Meisters und die des Lehrlings, sind auch in anderen Kirchen Schottlands anzutreffen. Ein solches Paar steht etwa in der Dunfermline Abbey aus dem zwölften Jahrhundert, allerdings wird die kunstvollere der beiden als Werk des Meisters erachtet. Die damit verbundene Geschichte des Lehrlings, der den Tod fand, weil er seinen Meister übertraf, ist alt. Die Gesichter des Meisters und des Lehrlings sollen sich unter den Köpfen befinden, welche in die Ecke der Decke der Kapelle von Rosslyn gehauen sind. Allerdings gibt es dort sechs Köpfe und nicht nur zwei. Einer davon gehört zudem einer Frau, ein anderer einem Dämon.

Die Verbindung der Templer mit Rosslyn ist erst sehr spät entstanden und geht unter Umständen auf Sir Walter Scott zurück, der die Herren von Rosslyn in >The Lay of the Last Minstrel< erwähnt.

Zur Zeit der Verfolgung des Ordens haben womöglich einige Templer in Schottland Zuflucht gefunden, aber auch für diese These existieren keine Aufzeichnungen, die gar einen Bezug zu Rosslyn herstellen.

 

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