6. Kapitel
Der Besitz der Templer und was daraus wurde.
Im Jahre 1312, etwa einen Monat nach der offiziellen Auflösung des Tempelordens durch den Papst, wurden alle Ländereien, Güter und Ordenshäuser sowie andere Besitzgüter der Templer ihren früheren Verbündeten und Rivalen, den Hospitalrittern des heiligen Johannes, übertragen. Im Heiligen Land waren die Hospitaliter genauso korrupt wie die Templer gewesen, hatten nicht weniger dazu geneigt, auf Kosten des Kreuzfahrerreiches ihren eigenen Manipulationen, Intrigen, Fraktionskämpfe und egoistischen Interessen nachzugehen. Wie die Templer (und genauso die Deutschherrenritter gegen Mitte des 13. Jahrhunderts) widmeten sich die Hospitaliter ebenfalls dem Bankwesen und dem Kommerz und einem breiten Spektrum anderer Tätigkeiten, die weit über ihren ursprünglichen Auftrag als Kriegermönche hinausgingen. Doch in Europa, besonders in ihrer Beziehung zum Papsttum, achteten die Hospitaliter sorgfältig darauf, keinen Anstoß zu erregen. Sie widerstanden jeder „Infektion“ durch Ketzerei und jenem Vergehen, das sie Verfolgungen hätte aussetzen können. Auch stellten sie keine Bedrohung für irgendeinen europäischen Monarchen dar. Obwohl die Hospitaliter zweifellos genauso arrogant und autokratisch wie die Templer und der Orden der Deutschherrn war, so waren sie in ihrer Arbeit im Bereich der Krankenpflege und ihrer unerschütterlichen Loyalität Rom gegenüber so überzeugend, um alle negativen Eindrücke aufzuwiegen. Deshalb genossen sie größeres Ansehen beim Papsttum und auch in der Öffentlichkeit, als die mit ihren rivalisierenden Orden. In den Jahren von 1307 bis 1314, als die Tempelprozesse stattfanden, wurden ähnliche Vorwürfe gegen die Deutschherrenritter laut, und da sie entsprechende Anklageerhebungen fürchteten, verlegten sie ihr Hauptquartier von Venedig nach Marienburg im heutigen Polen, weit jenseits der Reichweite der päpstlichen und weltlichen Obrigkeit. Die Hospitaliter befanden sich in der günstigen Lage, vom Missgeschick beider Rivalen profitieren zu können. In dieser Zeit, sowohl auch in späteren Zeiten gab es stets Konflikte um die Liegenschaften und Güter der Templer. Niemals wurde merkwürdigerweise in der damaligen Zeit dieses Thema geklärt, weder unter den die da Anspruch darauf hatten, noch von denen, die an oberster Stelle das Sagen darüber hatten. Erst im Jahre 1338 forderte der Großmeister der Hospitaliter ein Verzeichnis aller Templerbesitzungen an, die sein Orden in alles Teilen der Welt übernommen hatte. Der Prior jener Region und jenes Landes wurde angewiesen, ein Inventar von den Tempelgütern in seinem Einflussbereich vorzulegen. Es stellte sich heraus, dass die meisten Templerbesitzungen, welche die Hospitaliter in England und Schottland erworben hatten, so gut wie wertlos waren. Alles war in den vielen Jahren der andauernden Kriege zerstört, verbrand oder vernichtet worden. Bis weit in das 14. Jahrhundert hinein war es für alle Widersacher der Templer noch immer mit unvorstellbaren Schwierigkeiten verbunden frühere Templerbesitzungen an sich zu bringen. In der gesamten Geschichte der schottischen Ritterorden gibt es keine so unklare Epoche wie die im 14. Jahrhundert. Bis heute fehlt noch immer jegliche Dokumentation (bis auf wenige Ausnahmen) der Templergüter. Aber ganz gleich ob es sich hierbei um Ländereien, Güter oder anderen Werten handelt, die eigentliche Frage ist doch die: „Welches Wissen, welches Geheimnis brachte die Templer in eine solche Machtposition?“ All diese irdischen Güter sind doch letztlich nur ein Nebeneffekt dieses mächtigen Geheimnisses. Was wussten oder besaßen die Templer, was ihnen jene Macht in die Hände spielte und später auf den Schafott brachte? Dennoch kommen wir nicht darum herum uns nochmals mit dem materiellen Reichtum der Templer zu beschäftigen. Nur in der Erkenntnis des Ausmaßes von Land, Gütern und sonstigen unermesslichen Reichtümern können wir die Größe des Mysteriums erahnen, welches den Orden der Templer zu diesen weltlichen Gütern den Zugang ermöglichte. Trotz der Unklarheiten zeichnet sich ein gewisses Muster ab. * Nach 1338 begannen die Hospitaliter, Templereigentum in Schottland zu erwerben, wenn auch auf äußerst fragwürdige Weise. Vor 1338 wurde kein Templerbesitz weitergegeben, doch liegen, mit der erwähnten Ausnahme, keine Dokumente über das sonstige Schicksal der Tempelgüter vor. Als die Hospitaliter diese schließlich erhielten, wurden die Templerländereien plötzlich separat behandelt. So wurden diese Ländereien weder parzelliert noch fügten sie, sie ihren übrigen Gütern bei. Im Gegenteil, der Templerbesitz hatte einen Sonderstatus und wurde als eine geschlossene Einheit verwaltet. Der Orden des heiligen Johannes ging nicht wie ein Eigentümer mit ihnen um, sondern eher wie ein Treuhänder. Noch am Ende des 16. Jahrhunderts führten die Hospitaliter nicht weniger als 519 Stätten in Schottland als „Terrae templariae“ auf, also als Teil des selbständigen und separat verwalteten Templervermögens. Die Übertragung der Templerländereien in Schottland war durch etwas ganz Außergewöhnliches gekennzeichnet, was die Historiker fast völlig vernachlässigt haben und was es dem Tempel ermöglichte, bis zu einem gewissen Grade „postum“ weiter zu bestehen. Denn die Templer waren in Schottland offenbar mehr als zwei Jahrhunderte lang – von Beginn des 14. bis Mitte des 16. Jahrhunderts – mit den Hospitalitern vereinigt. Damals gab es häufige Hinweise auf einen einzigen gemeinsamen Orden, den „Orden der Ritter des heiligen Johannes und des Tempels“ Es ist eine bizarre Situation, die etliche quälende Fragen aufwirft: Rechneten die Hospitaliter mit einer künftigen Wiederbelebung des Templerordens, weshalb sie sich (möglicherweise durch ein Geheimabkommen) verpflichteten, das Templereigentum zu treuen Händen zu verwalten? Oder hatte der Orden des heiligen Johannes in Schottland so viele flüchtige Templer aufgenommen, dass diese ihre eigenen Güter verwalten konnten? Diese beiden Möglichkeiten schließen einander nicht aus. Jedenfalls ist klar, dass die Ländereien der Templer einen einzigartigen Status hatten, der in den historischen Urkunden nicht offiziell definiert wurde. Und sie behielten diesen Status bei. Im Jahre 1346 saß Alexander de Seton, ein Meister der Hospitaliter, den regelmäßigen Gerichtsverhandlungen in dem frühen Templerordenshaus Balantrodoch vor. Inzwischen war das Ordenshaus endlich an die Hospitaliter übergegangen, aber es wurde als Teil des Templervermögens weiterhin separat verwaltet. Zwei der von Alexander de Seton beglaubigte Dokumente sind überliefert. Aus ihnen geht hervor, dass man vierunddreißig Jahre nach Auflösung des Ordens immer noch „Templergerichte“ abhielt. Diese Templergerichte sollten auch noch gut zwei Jahrhunderte tagen. Erneut stoßen wir auf Belege dafür, dass der Orden des heiligen Johannes, obwohl ihm die Templerbesitzungen in Schottland übertragen worden waren, aus nie explizit genannten Gründen unfähig war, sich die Güter legal einzuverleiben. Wiederum haben wir es mit einer unsichtbaren Präsenz der Templer zu tun, die auf eine Gelegenheit zu warten schienen, ihre Rechte von neuem geltend zu machen und ihr Erbe für sich zu reklamieren. Und ganz Schotland, die Monarchie, die reichen Landbesitzer, sogar der Orden des heiligen Johannes, scheint sein Einverständnis zu diesem verborgenen Plan gegeben zu haben. |
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