18. Kapitel

 

 

Maria Magdalena

 

 

     Es mag nicht gerade leicht erscheinen, die richtige Maria Magdalena zu finden. Einerseits ist diese historische Person überdeckt von Mythen und Legenden, andererseits existieren kaum handfeste Fakten oder Beweise.

Die erste Frau im Neuen Testament, die diesen Namen trägt, ist die Mutter Jesu. Wir können mit Sicherheit davon ausgehen, dass sie nicht mit Maria Magdalene identisch ist. Maria Magdalena ist aber auch nicht Maria, die Mutter von Jakobus, Joses, Judas und Simon, da diese laut Markus 6,3 Jesus Brüder sind. In den Evangelien von Matthäus, Markus und Lukas begeben sich die beiden Frauen außerdem gemeinsam zum Grab von Jesus.

Unter diesen Voraussetzungen bleiben uns nur Maria Magdalena, die in den drei ersten Evangelien lediglich als Jüngerin von Jesus bezeichnet wird. Hierbei sei noch darauf hingewiesen, dass keine der im Neuen Testament genannten Marias als Prostituierte bezeichnet wird.

 

 

Maria in den Apokryphen

 

In den ersten zwei Jahrhunderten, die auf den Tod Jesu folgten, kursierten viele Geschichten über ihn und sein Werk. Einige davon sind jene Versionen, die als Evangelien in das Neue Testament Eingang fanden. Andere, die als die neutestamentarischen Apokryphen bezeichnet werden, berichten von Ereignissen, die sich außerhalb des Kanons bewegen. Mehrere von ihnen erwähnen Maria Magdalena. Viele der Apokryphen Evangelien gehen sehr ausführlich auf die Beziehung von Jesu und Maria Magdalena ein.

Eines der provokativsten ist das Philipposeevangelium, ein so stark zerfallenes Manuskript, dass uns der Text nur sehr lückenhaft erhalten blieb.

Es folgt eine der am häufigsten zitierten Passagen: „Und die Gefährtin des (…) Maria Magdalena. (… liebte) sie mehr als (…) Jünger und er küsste sie auf ihre (…)“?

Die meisten Menschen fügen im Geist „Lippen“ hinzu, was dem Ganzen wiederum eine sexuelle Komponente verleiht.

Der Text fährt fort, und die anderen Jünger beklagen sich, dass Jesus Maria mehr liebe als sie. Seine Antwort darauf lautete: „Wenn ein blinder Mann und ein sehender zusammen in der Dunkelheit sind, so unterscheiden sie sich nicht. Wird es aber Licht, so wird jener, der sehend ist, das Licht erblicken, und jener, der blind ist, verharrt in der Dunkelheit“.

Die übrigen Apokryphen Evangelien, in denen Maria auftaucht, weisen ihr unterschiedliche Rollen zu. Es ist jedoch nicht zu übersehen, dass sie im frühen Christentum eine der wichtigsten Persönlichkeiten darstellte. Ihre Verbundenheit mit Jesus empfängt sie so stark, dass sie dessen Weisheit und eigene Erkenntnis verbreitet.

 

 

Maria und der Papst

 

Die beliebteste mittelalterliche Nacherzählung ihres Lebens hieß „Das apostolische Leben der Maria Magdalena“. Es berichtete von den Lehren, die sie im Namen Jesu verbreitete und ihrer Erkenntnis, mit welchen sie Wunder bewirken konnte.

Es wird behauptet, dass Papst Gregor der Große (540 – 604) jene Maria als Erster als Prostituierte bezeichnete. Hierbei ist jedoch zu bedenken, dass er es so gar nicht formuliert hatte. Das Wort, das er für Maria verwendete, lautete „peccatrix“ und bedeutet soviel wie Sünderin. Hätte er vorgehabt, sie als Prostituierte zu bezeichnen, so hätte er den Begriff „meretrix“ verwendet.

Als er zu Maria am Grab sprach, wählte er die Worte: „Wir müssen das Innerste der Frau bedenken, denn die große Macht der Liebe entflammte sie (…) Sie suchte jenen, den sie nicht fand, vergoss auf ihrer Suche Tränen, von der die Flamme der Liebe durchdrungen; sie brannte vor Verlangen nach ihm, von dem sie glaubte, er sei ihr genommen“.

Gregor äußerte sich über Maria also keineswegs abwertend.

Für die Franzosen gehörte sie zu den Aposteln. In einer Lebensbeschreibung aus dem zwölften Jahrhundert steht geschrieben: „Mehr als ein Prophet, war sie Johannes dem Täufer ebenbürtig (…) niemand kam Maria gleich in ihrer wunderbaren Bekehrung zu Christus und ihrer unvergleichlichen Vertrautheit mit Christus, die auf der ganzen Welt Verehrung erfährt (…) Nur die Himmelskönigin ist ihr ebenbürtig und erhabener als Maria Magdalena“.

Dieselbe Lebensgeschichte beschreibt Maria Magdalena auch als Mystikerin: „Sie, die zuvor über die Erde schritt, wandelte nun im Geiste zwischen den Engeln in der Weite der himmlischen Chöre“.

Noch immer existieren gut tausend Handschriften der „Goldenen Legenden“. Hier nahm unsere bis zum heutigen Tag, bestehende Vorstellung von Maria Magdalehne ihren Ursprung. In diesem Buch ist sie reich, schön und so dem Genuss hingegeben, dass ihr der Beiname „die Sünderin“ verliehen wurde. Durch eine „göttliche Fügung“ kommt sie in das Haus Simons, des Aussätzigen, wo sie Jesus begegnet und ihm die Füße mit dem Öl salbt, welches sie bei sich trägt. Sie wird seine treu ergebene und geliebte Jüngerin. Die Geschichte endet mit ihrer Überfahrt nach Frankreich, wo sie predigt und Wunder wirkt, und schließt mit ihrem Einsiedlerleben in der Wüste, wo sie bis zu ihrem Tode verweilt.

Alle frühen Lebensbeschreibungen der Maria Magdalena betonen ihre Rolle als Evangelist. Auch wenn die meisten glaubten, dass sie zuvor eine Sünderin, wenn nicht sogar eine Prostituierte war, so schwand diese Bedeutung angesichts des Lebens, das sie nach ihrer Bekehrung führte.

In keiner der Lebensbeschreibungen über Maria oder den Apokryphen Evangelien wird je darauf angespielt oder ein Wort darüber verloren, dass sie und Jesus verheiratet waren oder ein Kind hatten.

 

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