10. Kapitel
Was ist Mythos? Was ist Legende?
Es mag wohl eines der größten Schwierigkeiten darstellen, Tatsachen von Legenden zu trennen, zumal es hierbei auch noch stets auf den Standpunkt des Betrachters ankommt. Interessanterweise liefert die Legende, welche per Definition nichts weiter als ein Zerrbild ist, eine weitaus stärkere akzeptierte Sicht der wirklichen Ereignisse. So sind sich zwar alle über Legenden und Mythen einig, niemand jedoch stimmt in Bezug auf die Tatsachen überein. Glauben wir nicht alle in der einen oder anderen Form an Mythen und Legenden? Hierbei ist zu bedenken, dass eine Gesellschaft nur durch den gemeinsamen Glauben existieren kann. Stützt sich also unsere Gesellschaft damit mehr auf den Mythos oder die Legenden als auf Wahrheit und Tatsachen? Allein aus dieser Sicht betrachtet kommen wir zu dem Schluss, dass unsere Gesellschaft auf den Säulen des eventuellen Selbstbetruges beruht. Wir glauben das was wir sehen können und wir sehen das was wir sehen wollen. Kurz, eine Legende lässt sich eher akzeptieren, da sie sich zurechtrücken lässt, zurechtrücken in einer Weise das sie für fast jeden akzeptabel ist. Über Wahrheiten hingegen wird man immer streiten und niemals eine gesamte Einigkeit erzielen, da die Wahrheit nicht selten unbequem ist. So lässt es sich leichter mit einem Mythos leben als mit der nüchternen und unausgeschmückten Wahrheit. Damit kommen wir zwangsläufig zu den Religionen. Hier finden wir zum Teil genau das gleiche Prinzip. Welche wirklichen Beweise gibt es für die tatsächliche Existenz einer Religion? Basiert hier nicht auch mehr oder weniger alles auf den Glauben? Einen Glauben, welcher keine belegten Tatsachen, im Sinne der Historie, aufzuweisen hat. Auch hier sorgen Mythos und Legende für die Einigkeit, welche für die notwendige Macht einer Religion von absoluter Bedeutung ist. Nehmen wir als Beispiel das Christentum. Nicht weil wir uns, bedingt durch den Heiligen Gral und den Templern ohnehin mit dieser Religion beschäftigen, sondern einzig weil ich einmal davon ausgehe, dass die Leser dieses Werkes sich in dieser Religion am besten auskennen. Noch immer, tausende von Jahren später besteht der Mythos, dass Gott von männlicher Natur ist. Auch war es sein Sohn und nicht seine Tochter, welche die Welt erlösen sollte. Selbst Adam, ein Mann, war der erste den Gott erschuf und zwar nach seinem Ebenbild. Aber es war eine Frau, die aus der Rippe Adams erschaffen wurde und die dafür verantwortlich war, dass beide aus dem Paradies vertrieben wurden. Die Frau, das Weib als Schuldige, als die Versuchung. Der Mann jedoch als das Symbol der Fruchtbarkeit und dem Göttlichen Prinzip. Wenn wir uns diese Einteilung betrachten, werden wir bemerken, dass sie genau dem sozialen und gesellschaftsformellen Weltbild von damals entspricht und es diesem sogar auch heute noch gerecht wird. Der Mann als Legende für das Sinnbild von Macht und Beschützer, von Ernährer und leitendem Oberhaupt. Es ist nicht schwer zu verstehen, dass unter solchen sozialen, gesellschaftsformellen Denk- und Mustervoraussetzungen eine allgemeine Einigkeit herrschte – die Meinungen der Frauen war ohnehin zweitrangiger Natur und hatte so gut wie nichts zu bedeuten. Ein Denkmuster wie es in fast allen Religionen vorhanden ist. Kein Wunder, dass man hierfür keine Tatsachen oder Beweise benötigte, dass man diese vielleicht nicht einmal wollte. Es scheint also einfacher zu sein, mit einer zweifelhaften Legende zu leben als mit einer unangenehmen Wahrheit. Die Frau war von alters her und ist in unserer Gesellschaft noch immer zweitrangig, ob dies nun unter dem Begriff der Emanzipation abgestritten wird oder nicht. So bedarf es nicht der Notwendigkeit, bis zu den Apokryphen Evangelien zurückzugehen, um zu erkennen, dass Frauen bereits in den ersten Anfängen des Christentums von der Gunst des Mannes abhängig waren. Obwohl sie, nicht anders als auch die Männer, ihr Heim und ihre Familie verließen um Jesus zu folgen. Hier treffen wir auch erstmalig auf Ausnahmen. So traf zum Beispiel Maria von Betanien die bessere Wahl, als sie sich für das Lernen und gegen den heimischen Herd entschied. Solche Belege werden doch nur sehr ungern dokumentiert, da sie die allgemeine Einigkeit der Gesellschaftsform stören könnte. Maria Magdalena, sie war nicht nur die Gefährtin und Vertraute von Jesus, mit ihr teilte er auch Geheimnisse welche er seinen Jüngern nicht anvertraute. Es mag sein, dass Neid und Zwietracht darüber dafür verantwortlich waren, jene Maria Magdalena als Hure zu betiteln. In der Apostelgeschichte und den Paulinischen Briefen wird oft von den Taten der Frauen berichtet. Im orthodoxen Neuen Testament sind diese allerdings bereits auf die zweitrangige Rolle einer Gastgeberin reduziert. Wenn es um den Platz der Frau in der Gesellschaft geht, empfängt man allerdings widersprüchliche Signale. Da heißt es: „Und der Mann ist nicht erschaffen um des Weibes willen, sondern das Weib um des Mannes willen“ (1. Korinther 11,9). Kaum drei Zeilen weiter hingegen steht geschrieben: „Doch ist weder der Mann ohne das Weib noch das Weib ohne den Mann in dem Herrn. Denn wie das Weib von dem Manne, also kommt auch der Mann durchs Weib“ (1. Korinther 11,11 – 12). Dann die Aussage, dass Frauen in den Gotteshäusern schweigen sollen (1. Korinther 14,34 – 36) gefolgt von dem Befehl, „die Weiber seien untertan ihren Männern als dem Herrn“ (Epheser 5,22). Von diesen Tatsachen gibt es unzählig viele zu berichten, aber erwähnt wurden sie nur dann, wenn sie in das Konzept der beabsichtigten Meinung passten. Dies sollten wir auch berücksichtigen, wenn wir den Versuch unternehmen der Wahrheit gerecht zu werden und sie vom Mythos und den Legenden zu trennen. Die Frage hierbei stellt sich, ob man überhaupt Legende oder Mythos von der Wahrheit trennen kann, da die Grenzen hierbei verschwimmen und keine genaue Abgrenzung zulassen. So kann die Wahrheit bereits zur Zeit des Erlebens zur Legende werden, die dann wahrscheinlich auf einen Mythos zurückführt oder bei jenem zu finden ist. Legenden sind demnach keine Lügengeschichten die als Zerrbild auftreten. Eine Legende ist demnach eine besondere Art der Interpretation der Wahrheit aus der Sicht des Berichtenden. Ein Mythos ist der Grundstein auf dem die Legende gedeiht. Auch er besteht aus einer Vielfalt von wahren Fragmenten. Wenn Sie jetzt glauben, dass wir uns immer weiter vom eigentlichen Stoff, dem „Geheimnis vom Heiligen Gral“ entfernen so hat dies nur den Anschein. Wir sind noch immer beim Thema, auch wenn dies im Augenblick nicht gerade den Anschein macht. Es ist meiner Meinung nach jedoch von größter Wichtigkeit alle Umstände, auch wenn sie nur nebensächlich erscheinen, in Betracht zu ziehen und sich mit dem Gesamtumfang dieser Legende zu beschäftigen. So sind auch gerade die Religion und die damaligen sowie heutigen Gesellschaftsformen und ihre soziale Struktur von großer Bedeutung, will man sich ein klares Bild der Wahrheit verschaffen. Auch um unserem Fall, dem Geheimnis um den Heiligen Gral, ranken sich eine Vielfalt von Legenden und Mythen. Eben so viele belegte und unbelegte Spuren der verschiedensten Art führen zum Ziel dieses Geheimnisses. Welche dieser Spuren Sie für die richtige erachten bleibt letztlich Ihre Entscheidung. So kann die Wahrheit in den verschiedensten Formen auftreten. Wenn es eine Wahrheit, basierend auf Mythen und Legenden gibt, muss sie dann für jeden gleich zu verstehen sein? Wir können, wie schon bereits erwähnt, nur den Versuch unternehmen, der Wahrheit so nah wie nur möglich zu kommen. Hierzu kann ich nur die Anregungen zum Nachdenken anhand von Fakten liefern, welche ich zusammengetragen habe, ohne selbst zu wissen in wie weit diese belegt sind oder nur ins Reich der Spekulation gehören. Aber auch was anfangs Spekulation ist, kann durch die Suche über Legende und Mythos zur belegten Tatsache führen. Die Wahrheit mag stets gleich sein, ihre Interpretation und Definition aber kann in unterschiedlicher Art und Auffassung auftreten, so wie ein Rechenergebnis durch verschiedene Rechenwege erreicht werden kann. Der bekannteste Mythos verbindet in seiner Legende den Heiligen Gral mit der Historie der Templer und den Freimaurern. Um dieser Spur zu folgen wollen wir uns mit deren Geschichten und ihren eventuell möglichen Zusammenhänge beschäftigen. |
Kapitel: 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22